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25.09.2009
17:03

Große Mehrheit findet Schulsystem veraltet - und will es ändern

Zu früh getrennt

Annette Schavan tut es, der Philologenverband tut es und auch Forsa tut es: Alle verkünden sie gerade, dass eine Mehrheit der Deutschen gegen die Einheitsschule sei. (63 Prozent) Und selbst bei den SPD-Anhängern über die Hälfte findet, "das bisherige Bildungssystem sollte beibehalten werden". 

Das sieht schlagend aus, zumal bei den jüngeren die Anghängerschaft für eine Schule für alle besonders gering ist. Nur 24 Prozent der 18-29jährigen sagten Forsa am 16. September, sie seien für die Einheitsschule.

Wer wissen will, wie schul-reformfreudig das Land tatsächlich ist muss - bei Forsa nachschauen. Denn erst im Juni hatte Forsa im Auftrag der Zeitschrift Eltern 1.000 junge Mütter und Väter befragt - und eine überwältigende Reformbereitschaft entdeckt.

91 Prozent fordern darin, das Bildungssystem in den Ländern zu vereinheitlichen - zwei Drittel finden das System "grundsätzlich veraltet." 

Selbst bei der Reformrichtung sind die Eltern eindeutig. 64 Prozent der Leute finden, dass die Trennung der Kinder auf verschiedene Schulformen zu früh erfolgt.

Wie lässt sich die verwirrende Gemengelage erklären. Wollen die Bürger das System ändern - oder soll alles bleiben, wie es ist?

Es hängt an den Begriffen und den Befragten. Der Philogenverband packte den Begriff der Einheitsschule in die Frage - ein Kampfbegriff, mit dem man die sozialistische Einheitsschule der DDR einst schmähte. Kein Wunder also, dass die befragten Bürger so was nicht wollen. Was ist eine Einheitschule eigentlich? pisaversteher kennt keine, allenfalls die sehr beliebten Gemeinschaftsschulen, die es in Schleswig-Holstein und Berlin schaffen, Eltern und Schulträger zu überzeugen.

 Es könnte auch sein, dass junge Eltern eben sensibler auf die Misserfolge der Bildungspolitik reagieren. 

17.09.2009
12:43

Migranten in der gegliederten Schule

Bildungsklick und Philologen täuschen sich

Bildungsklick verbreitet eine Meldung des bayerischen Philologenverbandes:

"Gegliedertes Bildungssystem für Migrantenkinder aus unteren Bildungsschichten vorteilhaft ..."

Pisaversteher hat nachgefragt - und, siehe da, der Forscher aus dem einschlägigen Projekt verneint: "Die Aussage, dass das gegliederte Schulsystem den Migranten per se etwas bringt, ist anhand der von uns durchgeführten Studie 'Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien' nicht zulässig." 

Nach dem bayerischen Philologenchef Max Schmidt bringt das dreigliedrige Schulsystem für Migrantenkinder Vorteile. Schmidt beruft sich auf eine Aussage von Hartmut Esser, einem Migrationsforscher aus Mannheim.

"Ein gegliedertes Bildungssystem nutzt beim sozialen Aufstieg gerade den Migrantenkindern aus den unteren Bildungsschichten (...)."

Hartmut Esser sagte pisaversteher, er habe mit dem Zitat etwas anderes gesagt: "Dass die Migrantenkinder von den gegliederten Systemen nicht mehr benachteiligt sind als die anderen (Kinder) - wenn man berücksichtigt, welches Bildungssystem ihr Herkunftsland hat." 

Esser nennt das Zitat eine verunglückte Zwischenüberschrift der Redaktion der FAZ, in der er über die gut gemeinten, aber oft verfehlten Förderprogramme für Migranten berichtet hatte. (FAZ: "Modell, Versuch und Irrtum", v. 29. Juli 2009) Esser verweist auch auf Jaap Donkers, der in einer Studie eine interessante Erkenntnis zutage förderte: Für Migrantenkinder seien die schwach gegliederten Bildungssysteme am besten - am schlechtesten die stark gegliederten. "Also: wieder mal eine interessante Differenzierung." Das deutsche Systrem gilt weltweit als eines der am stärksten gegliederten. 

Auch der Mannheimer Forscher Jörg Dollmann aus dem Projekt Bildungsentscheidungen in Migrantenfamilien, der mit Esser zusammen arbeitet, kann diese Aussage aus seinen Untersuchungen so nicht bestätigen.

Dollmann sagte pisaversteher, Migrantenfamilien nutzten die Übergangspunkte im gegliederten System besser als Familien anderer Herkunft. Das hat mit deren hohen Bildungsaspirationen zu tun. Allerdings hat Dollmann nicht Bildungssysteme verglichen, sondern das Verhalten von Familien verschiedener Herkunft im gegliederten Schulwesen

Siehe auch Bildungsklick

31.08.2009
17:51

Rinks und Lechts gegen gute Schule

Linke Reformblockierer

Leitartikel für den Freitag, das schreibt man gern. Jakob Augstein hat das Intellektuellenblatt, das aus dem Sonntag hervorging, übernommen - und versucht es mit Grassmann und Kabisch zu einer linken Edelpostille zu machen. Man wähnt sich mit dem Freitag bei einer linken Avantgarde, auf dem online-Titel klebt überall irgendwie Guardian mit drauf.

Allein, es wird ein großer Irrtum.

Da mögen die neuen Blattmacher noch so modern sein, im Leserfeedback gibt es richtig auf die Fresse. Da sind ein paar dogmatische Linksblogger am Werk: Dass sie hinter einer unabhängigen Bundesstiftung immer nur Bertelsmänner sehen - geschenkt; dass sie freie Schulen konsequent mit Profitbuden vertauschen - nun gut, 150 Jahre etatistische Preußenschule müssen ja irgendwo ihre Spuren hinterlassen.

Dass sie aber den Frontalunterricht quasi durch die Bank hochleben lassen. ("Auf den Frontalunterricht einzudreschen ist im Moment sehr angesagt...") - das ist ein Schreck, nein ein Schock. Von den exzellenten Schulpreisschulen - haben sie noch nie etwas gehört, "Systemdebatten halten sie in der Tat für nicht besonderes hilfreich." Hilfe, wo ist lechts, was ist rinks!

Sie denunzieren in 124 Beiträgen den Schreiber; sie kennen das Wort individuelles Lernen schlicht nicht. Und das obwohl Spätpromovierende über guten Unterricht dabei sind. Irgendwann schreibt einer der Leser voller Verzweiflung:

"Sind das Verteidigungsreden, dass alles so bleiben soll wie immer? Keine Krise des Schulsystems?" 

Der Freitag ist eben nicht der Guardian, seine Leser auch nicht. Dennoch wirft es ein Schlaglicht auf die Komplexität einer Schulreform: Rechts steht die konservative Kamarilla und blockiert mit ihrer Kulturhoheit der Länder jeden Modernisierungsversuch; links steht eine verstockt-dogmatische Linke, die Wangen von "neolibben" Bertelsmann-Ohrfeigen gerötet und heult ohne Unterlass.

Schule in Deutschland leidet unter der organisierten Verantwortungslosigkeit einer vielschichtigen Kultusbürokratie.

Aus deren Würgegriff ist sie praktisch nicht zu befreien. Aber sie leidet genauso darunter, dass die Gesellschaft mit dem Finger auf die Schulen zeigt  und sagt - die muss der Staat reformieren, damit haben wir nichts zu tun! Das ist die Fortsetzung der staatstreuen Ohnmacht. Schule? Geht uns nichts an. 

Aber, auch die Indolenz der Freitag-Leser wird nicht verhindern, dass ein neues Zeitalter des Lernens anbricht. Die Schulreform in ihrem Lauf - dieses Bonmot lieben sie - , hält weder Ochs noch Esel auf. Freitag, Lasst die Schulen los!

Inzwischen gibt es eine Reaktion des geschätzten Kollegen Karl-Heinz Heinemann, ebenfalls im Freitag.

27.06.2009
14:11

Wie Lehrer spickmich denunzieren

Die Herren der Note

Wer wissen will, wie Lehrer drauf sein können, muss sich deren Haltung zu spickmich ansehen: Noten für Lehrer seien ein Angriff auf die Demokratie. 

"spickmich ist die schule der denunziation und keine neue kritikkultur", schreibt ein Lehrer an Pisaversteher.

Was haben Lehrer eigentlich kapiert?

Der Bundesgerichtsgerichtshof hat spickmich erlaubt und darauf hingewiesen, dass sich auch Lehrer dem demokratischen Element der Meinungsäußerung zu unterwerfen haben. Pisaversteher hat die Entscheidung in der taz beklatscht als "Meilenstein für den Schritt zu einer neuen Lernkultur."

Die Reaktionen waren wie so oft bei Lehrern - aufs tiefste beleidigt: Wer den Alleinherrscherstatus von Lehrern infrage stellt, muss sich auf was gefasst machen.

Ein Lehrer schrieb:

Mit einem gewissen Schmäh wird die "benotete" Pädagogin mit diesem Urteil zum lebenslangen Spießrutenlauf durch die Reihen der nun "frei kommunizierenden" Schüler verurteilt. Wer das für demokratisch hält, hat - trotz juristischer Titel - den Sinn unserer Verfassung nicht richtig verstanden.

Ein anderer behauptet tatsächlich,

im Alltag unserer Schulen sei "die Gauß'sche Notenverteilung schon vor Jahrzehnten beerdigt" worden."

und meint:

"LehrerInnen sind und werden schon seit Jahrzehnten (bestimmt auch in Berlin!) hervorragend ausgebildet. Kaum ein anderer Beruf hat eine solch lange und harte Ausbildung."

 

Pisaversteher kann da nur mit dem Kopf schütteln. Lehrer führen sich gern wie beleidigte Leberwürste auf. Sie sind eindeutig die Chefs im Ring, sie reden am allermeisten im Unterricht - siehe Desi-Studien -, sie verdienen im europäischen Vergleich ausgezeichnet, sie haben relativ überschaubare Arbeitszeiten - aber sie jammern bei jeder sich bietenden Gelegenheit herum.

Das spickmich-Portal bietet die Chance, das asymetrische Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern halbwegs zu korrigieren. Und schon jault die Lehrerschaft wieder auf. Wenn etwa Deutschlands Oberlehrer Josef Kraus meint, spickmich müsse verboten und stattdessen eine Kultur freundlicher Rückmeldung im Unterricht entwickelt werden, dann muss man fragen dürfen: Die Lehrer haben seit Jahrhunderten Zeit, so etwas zu entwickeln. Wieso haben sie nicht längst damit angefangen?

 

 

25.06.2009
21:58

Ein Bürgertum, das seine meritokratischen Tugenden verrät

Lieber Herr Scheuerl,

"Der Unterschied zwischen Ihnen und mir ist der: Wir wollen das Schulsystem ändern - um jedem Kind eine Chance zu geben.
Sie wollen alles so belassen, wie es ist – damit schulischer Erfolg weiter nach Stand und Geburt vergeben wird."
 

 Walter Scheuerl hat die Bürgerini "Wir wollen lernen" gegründet, um mit ihr in Hamburg gegen die Einführung einer sechs Jahre dauernden Grundschule zu agitieren. Scheuerl warf mir in einem Mailing an seinen Verteiler vor, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. (Siehe unten) Dazu schrieb ich ihm diesen Brief:

Lieber Herr Scheuerl,

vielen Dank für Ihr mail. Ich habe mich gefreut, wieder einmal von Ihnen zu hören. Und ich habe mich zugleich gewundert.

Ich darf Sie nämlich korrigieren. Es ist falsch, dass ich wegen der Kinder aus dem Wedding weggezogen wäre. Ich, wir sind im Gegenteil schwanger dorthin gezogen. Und haben uns dann ein paar Jahre später wieder wegbewegt – aus ganz privaten Gründen, wie etwa dem Wunsch, nahe bei Freunden und Geschwistern zu sein. Sie verstehen, dass das kein Thema für eine öffentliche Talkshow ist.

Aber das: Die Qualität der Kindergärten und Schulen im Wedding. Nein, Frank Plasberg hat mich nicht etwa überführt oder verhört oder dergleichen. Was Ihnen wie eine investigative Meisterleistung dünkt, hatten wir ganz unaufgeregt in einem redaktionellen Vorgespräch erörtert. Was Sie als Sensation feiern, habe ich vor über 2 Millionen Fernsehzuschauern gesagt:

Ich würde nicht wollen, dass "mein Sohn der einzige native speaker seiner Lerngruppe ist".

Und ich kann auch niemandem raten, sein Kind in jene "differenziellen Lernmilieus" (Jürgen Baumert) zu stecken, die durch eine unkluge Integrations- und Stadtteilpolitik sowie eine verfehlte schulische Struktur künstlich erzeugt werden.

Ich frage mich, ehrlich gesagt, wieso ausgerechnet Sie meinen Satz skandalisieren? Sie klagen an, ich dürfe das nicht tun, weil ich eine grundlegende Schulreform propagierte.

Ja, ich plädiere politisch für eine radikale Schulreform, die allen Kindern die gleichen Chancen einräumt. Warum sollte ich im privaten meine eigenen Kinder davon ausnehmen?

Ich glaube, hier liegt der Unterschied zwischen Ihnen und mir. Er steht prototypisch für die Differenz zwischen vorsichtigen, aber entschlossenen Reformern – und einem Bürgertum, das Verrat an seinen meritokratischen Tugenden begeht:

Wir wollen das Schulsystem ändern - um jedem Kind eine Chance zu geben und dem Land eine Zukunft.
Sie wollen alles so belassen, wie es ist – damit schulischer Erfolg weiter nach Stand und Geburt vergeben wird.

Sie treten damit (wie übrigens Herr Schindler in Berlin auch) aktiv gegen eine demokratische und gerechte Schule auf. Das sei Ihnen unbenommen. Für Ihre eigene Untätigkeit aber wollen Sie nun andere in Haft nehmen: Wir sollen unsere Kinder in jene Chaosschulen stecken, für deren Erhalt Sie mit Verve in der Öffentlichkeit auftreten.

Verstehe ich Sie richtig, Herr Scheuerl: Sie kämpfen wie ein tapferer Held für den Erhalt schlechter Schulen – und verlangen von mir, dass ich meine Kinder dorthin schicke?

Wenn wieder einmal Fragen auftauchen sollten, dann kehren Sie gerne zu unserer und der guten Praxis des gepflegten Argumentierens zurück. Fragen Sie Ihre Fragen und warten Sie die Antworten ab – gerne auch im direkten Gespräch.

Mit besten Grüßen

Christian Füller

Das Mailing von Scheuerl an seine Hamburger Ini und Interessierte sah so aus:

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger,
liebe Eltern und Großeltern, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Schulleitungen, liebe Lehrkräfte,

die Sendung "Hart aber fair" vom 17.6.2009, die sich mit dem Thema Frühförderung schon im Kindergartenalter beschäftigt, ist jetzt online:

ARD v. 17.6.2009: Hart aber fair - Zweiklassengesellschaft schon im Kindergarten?
http://www.wdr.de/themen/global/webmedia/webtv/getwebtv.phtml?p=4&b=229

Interessant ist darin unter anderem das Selbstbekenntnis des taz-Redakteurs Christian Füller, der noch wenige Tage zuvor in seinem Artikel bei SPIEGEL-Online unter der Überschrift: "My Kind first - Wie Eltern gute Schulen verhindern" abwegige klassenkämpferische Thesen vertreten hat (Auszug: "Sie wollen gute Schulen und eine gerechte Gesellschaft - aber nur, wenn's dem eigenen Kind nützt. Eltern sind die größten Bremser im Schulsystem. Sie bekämpfen erbittert Reformen und grenzen sich nach unten hin ab: bloß keinen Kontakt zur Unterschicht."; hier geht's zum Füller-Artikel: http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,627628,00.html).

Nach seinem Selbstbekenntnis in der Sendung 'Hart aber fair' muss sich taz-Redakteur Füller jetzt vor allem an die eigene Nase fassen: Moderator Frank Plasberg spricht Füller in der Sendung 'Hart aber fair' darauf an, dass Füller aus Wedding weggezogen und zum Prenzlauer Berg umgezogen ist, damit seine Kinder nicht in die Kitas und Schulen in Wedding gehen müssen. Füller räumt daraufhin (zu sehen ab Sendeminute 62:10) ein: 

Zitat Christian Füller:

"Wenn ich eine politische Meinung vertrete, dann kann ich doch nicht meinen Sohn zum Experiment machen und sagen: OK, weil ich 'ne politische Meinung hab', gehst Du in 'ne 100-Prozent-Zuwanderer-Kita."

Christian Füller, ein weiterer Prediger, der Wasser predigt und Wein trinkt?

Herr Füller, der auf Podiumsdiskussionen dazu neigt, gegen die Unterstützer der Volksinitiative "Wir wollen lernen!" zu wettern, sollte sich einfach einmal in die Lage Hamburger Eltern versetzen: Dann wird er verstehen, weshalb die Hamburger Eltern sich dafür einsetzen, die Hamburger Schulen, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Schulleitungen nicht zum parteipolitischen Experimentierkasten zu machen. In keinem Hamburger Stadtteil und in keiner Hamburger Schule wird sich an den sozialen Verhältnissen dadurch etwas zum Positiven ändern, dass die Klassen 5 und 6 den Grundschulen angegliedert werden und das Elternwahlrecht abgeschafft wird.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen einen sehr guten Start in die Woche!

Herzliche Grüße,
Walter Scheuerl

pisaversteher.de