Drei Cent Anerkennung für jeden Lehrer
Der peinlichste deutsche Schulpreis
Sehr geehrter Herr Alaybeyoglu,
vielen Dank für unser Gespräch am Dienstag über die Wohltaten der Vodafone-Stiftung. Allerdings muss ich zugeben, dass Ihr Mitteilen und vor allem Ihr Verschweigen kein gutes Licht auf die Vodafone-Stiftung werfen. Lassen Sie uns beim einfachsten und zugleich empörendsten beginnen: Ihre Stiftung ist eine CSR- und Agitationsabteilung von Vodafone Deutschland. So ist die Industrie halt: Zieht Milliarden aus der Gesellschaft, gibt Peanuts zurück – und hängt das ganze auch noch an die große Glocke.
Sie aber, Herr Alaybeyoglu, sollten einfach wissen, wie der Umsatz und der Gewinn des Unternehmens ist, von dem Sie abhängig sind. Und Sie sollten es als Sprecher auch verraten, wenn man Sie danach fragt. Sonst könnte man auf die verrückte Idee kommen, diese folgenden Nachrichten zu schreiben, die ja beide vollkommen korrekt wären:
„Sprecher der Vodafone-Stiftung kennt Vodafone-Umsatz nicht“.
Oder noch blöder im Sound:
„Sprecher der Vodafone-Stiftung weigert sich, Vodafone-Gewinn zu nennen“.
Kurz zu dem, was Mäzenatentum ist und was peinlich ist.
Richtig ist es, „Bildung und soziale Mobilität zu fördern“, wie Sie als Ziel der Vodafone-Stiftung angeben. Peinlich ist es, dafür nur sechs Millionen zu spenden, wenn man einen Umsatz von 9,4 Milliarden Euro und einen Gewinn vor Steuern von 3,67 Milliarden Euro hat. Drei Millionen Euro gibt Vodafone Deutschland in den Pro-Bono-Topf seiner Stiftung, der Rest kommt von der der europäischen Vodafone-Stiftung. Herr Alaybeyoglu, das bedeutet, Vodafone D. gibt ein Promill seines Gewinns vor Steuern an die Gesellschaft zurück – in den USA würde sich kein Unternehmer wagen, eine so grotesk niedrige corporate responsibility-Rate auch nur zu erwähnen.
Wir erlauben uns aber zu erwähnen, dass die drei Millionen Euro, die Vodafone an seine Stiftung gibt, selbstredend steuerlich absetzbar sind. Nein, kein Missverständnis, wir sind nicht so naiv zu glauben, dass sie deswegen drei Millionen Euro weniger an Steuern zahlen. Aber wir wollen klarstellen: Auch der Steuerzahler beteiligt sich an ihrer wenig großzügigen Spende für die soziale Mobilität in Deutschland.
Aus den Mitteilungen, die Sie über den Deutschen Lehrerpreis geschrieben haben, geht hervor, dass Lehrer in etwa der wichtigste Job ist, den wir in Deutschland haben. Dem ist unbedingt zuzustimmen wegen des einzigen Rohstoffs Kinder, den wir haben etc. Meine Frage ist:
Wieso ist Ihnen die Anerkennung der 800.000 Lehrer in Deutschland dann nur 2,8 Cent je Lehrer wert?
Sie haben 23.000 Euro an Preisgeldern für den Deutschen Lehrerpreis ausgelobt.
Das ist, auch das muss man klarstellen, kein kleiner Betrag. Es bringt den Lehrern und möglicherweise auch für den Unterricht etwas - wenngleich sich insgesamt 27 Preisträger die 23.000 Euro teilen müssen. Aber: Ihr Preis steht in keinem Verhältnis zur Potenz des Unternehmens, das sie finanziert. Und der Preis steht in keinem Verhältnis zu dem bombastischen Werbeaufwand, den sie treiben. Umgerechnet drei Cent Anerkennung für die deutschen Lehrer - das ist ein bisschen zu wenig, wenn man – wie Sie - auch noch Karl Jaspers für sich in Anspruch nimmt: „Das Schicksal einer Gesellschaft wird dadurch bestimmt, wie sie ihre Lehrer achtet!".
Es ist auch ganz einfach. Der Deutsche Lehrerpreis will nicht das, was Sie behaupten: Lehrer anerkennen. Wenn das so wäre, dann würden sie mit großer Ehrlichkeit einen substanziellen Beitrag leisten für diesen lädierten Berufsstand. Und den bräuchte es, denn 300.000 Lehrer gehen in den nächsten Jahren in Ruhestand, und es ist gar nicht abzusehen, wie man kompetenten innovativen Nachwuchs dafür bekommen könnte.
Nein, das Ziel ihrer Aktion ist, Ihrem Unternehmen zu nutzen. Das ist korrekt. Prima. Das Ziel aber des Philologenverbandes, der mit ihnen den Preis verleiht, ist etwas ganz anderes. Man will den wirklich wichtigen Deutschen Schulpreis kopieren – und macht ihn dabei kaputt. Der Lehrerpreis ist nur ein Abklatsch des Schulpreises.
Der Lehrerpreis ist eine ziemlich preiswerte PR-Aktion von Vodafone und den deutschen Studienräten. Mit Innovation hat er, pardon, nichts zu tun.
Beste Grüße - Christian Füller. Pisaversteher
P.S. Gerade hat Oberstudiendirektor Meidinger Ihre Zahlen korrigiert. Es bekommen also doch alle 21 Preisträger je 1.000 Euro. Macht nach unserer Rechnung nun 34.000 Euro Anerkennung für die Lehrer. Gut, dass Sie das Preisgeld erhöht haben. Wir korrigieren sogleich den Wertschätzungsindex nach oben: Statt 2,8 Cent nun 4,2 Cent Anerkennung pro Lehrer.
Die Unverantwortlichen
Warum endlich die wirklich Zuständigen den Bachelor in die Hand nehmen müssen: Die Professoren und Studenten
VON CHRISTIAN FÜLLER (Kommentar für Politikum WDR 5, 24.11.)
Heute haben die Rektoren der deutsche Hochschulen in Leipzig getagt. Die Chefs von rund 300 Hochschulen unterhielten sich über den Bildungsstreik. Vor der Tür demonstrierten derweil 5.000 bis 10.000 Studierende. Sie waren, so ist das bei Bildungsstreiks, mächtig empört - über die Rektoren, die im Warmen sitzen. Und über die vermeintlich schrecklichen Bachelorstudiengänge. Das sind die verkürzten Studienprogramme an den Unis, über die sich gerade ganz Deutschland aufregt.
Nach der Tagung erklärten die Universitätsrektoren, dass die Politik an der Bachelormisere schuld sei.
Und die Studenten sagten, dass die Rektoren den Bachelor kaputt gemacht hätten und die Politik.
Leider stimmt das nicht.
In Leipzig haben sich heute genau die richtigen getroffen - diejenigen nämlich,die für den Bachelor verantwortlich sind.
Die Professoren und die Studenten haben es verbockt. Sie haben es nicht geschafft, die alten Magister- und Diplomstudiengänge zu entrümpeln und in gute, studierbare und kürzere Bachelorstudiengänge zu verwandeln.
Das ist eine unbequeme Wahrheit. Und sie ist auch ein kleines bisschen
zugespitzt. Denn selbstverständlich haben bei der größten Studienreform
seit Wilhelm von Humboldt vor 200 Jahren auch die europäischen
Wissenschaftsminister, die Bundesländer, die EU und etliche Hochschulforscher ihre Finger im Spiel.
Die konkret Verantwortlichen aber sind die Hochschulen. Genauer: Diejenigen in den Hochschulen, die Studiengänge entwerfen, das sind die Professoren. Und die Studenten. Denn sie haben in keinem Gremium der Universität so viel Mitspracherecht wie in den Studienreformkommissionen, wo sie üblicherweise die Hälfte der Sitze einnehmen.
Die große Frage ist: Warum werden Professoren und Studenten ihrer
Aufgabe nicht gerecht? Die Antwort ist leichter als man denkt.
Die Professoren haben in den Hochschulen in allen Gremien die
garantierte und absolute Mehrheit. Sie haben es nicht nötig, sich von
irgendjemandem in die Gestaltung eines Studienganges reinreden zu
lassen, außer von den Studierenden. Die Profs sind die Träger der in Artikel 5 garantierten Freiheit von Forschung und Lehre. Daher ist es ihnen auch so leicht gefallen, ein zehnsemestriges Diplom in einen sechssemestrigen Bachelor zu verwandeln: Sie haben einfach ein neues Etikett auf ihre vollen
Studienprogramme geklebt: Bachelor.
Und auch die Studenten tragen nicht wenig Verantwortung. Es stimmt, dass
sie es sind, welche die verkorksten und verschulten Studiengänge
ausbaden müssen. Sie sind es, die wegen der völlig überfrachteten
Lernprogramme keine Kraft mehr für Nebenjobs haben, ja die meisten
finden nicht mal mehr die Zeit, um für ein Semester im Ausland zu
studieren - die fatalste Folge der Bachelorreform.
Dennoch sind es die Studierenden, die die Mitarbeit in den
Reformkommissionen einfach verschlafen haben. Die meisten wissen ja
nicht einmal, dass es für sie reservierte Plätze für die Mitsprache in
den Hochschulen gibt. Studentenpolitik ist unsexy für die Generation
Bachelor. Die mikrobisch niedrigen Wahlbeteiligungen an den Hochschulen zeigen das überdeutlich.
Das ist vielleicht die bitterste Erkenntnis des derzeitigen Bildungsstreiks: Die Studenten sind bewusstlose Bürgerkinder.
Sie haben das Privileg einer Minderheit, an die Hochschulen zu dürfen. Aber sie interessieren sich nicht dafür, dass andere dieses Privileg nicht haben.
Und sie wissen nicht, dass und wie sie an den Hochschulen mitreden dürfen.
Wie kommt man heraus aus der Misere? Wenn die Studentenstreiks des
Sommers Sinn machen sollen, dann ist es nötig, jetzt zu handeln. Es
müssen runde Tische an den Hochschulen eingerichtet werden. An denen
müssen sitzen: Professoren und Studenten - und Moderatoren, die
aufpassen, dass diesmal gute Bachelor herauskommen.
Die Mär vom bösen Grüffelo Privatschule
Oder: Warum die Privatschulen zu Unrecht die Prügelknaben der Nation sind
Die böse Privatschule! Sie gehört zu den schlimmsten Schauermärchen des deutschen Schulwesens. Ein Boom von Privatschulen, so heißt es, fege wie ein Tsunami über das deutsche Schulwesen hinweg, um es zu verwüsten.
Das ist Unsinn. Wie das Bildermärchen vom Grüffelo, jenem grauenhaften Fantasiewesen von Axel Scheffler und Julia Donaldson, das angeblich im Wald herumstreunt und gefährlich für andere Tiere ist.
Der Grüffelo Privatschule ist ein schnell wachsendes Wesen, das monstrenhafte Größe annimmt, heißt es. Er hat ganz scharfe Zähne namens „Schulgeld“, die mit ihren über 20.000 Euro pro Monat die Gerechtigkeit des Schulwesens stark verletzen.
Der Grüffelo Privatschule ist ein fürchterlich arrogantes und elitäres Waldungeheuer, das lauter arme Kinder frisst. - So weit die Mär.
Die Wahrheit ist eine andere. Der Grüffelo Privatschule ist kein schnell wachsendes Wesen. Er nimmt allenfalls in Maßen zu.
Ja, es gibt einen Zuwachs der Schülerzahlen um 25 Prozent. Aber das bezieht sich auf den Zeitraum seit 1987 – also in mehr als 20 Jahren.
Vor allem, das Wachstum erfolgt von einem sehr niedrigen Niveau aus. In kaum einem anderen Schulwesen der Welt gibt es noch heute so wenige Privatschulen wie in Deutschland. In den Niederlanden etwas sind es 70 Prozent Freie Schulen, bei uns gehen nur 7,8 Prozent aller Schüler in private Einrichtungen.
Und diese Privatschul-Grüffelos sind auch keine Raubtiere mit 20.000 Zähnen, sondern ganz harmlose Tierchen.
Über die Hälfte der Privatschüler besuchen katholische Schulen. Von denen wiederum ist die Hälfte gratis; die andere Hälfte der katholischen Schulen verlangt zwischen 30 und 80 Euro. Auch die evangelischen Schulen sind nicht teuer, höchstens 150 Euro zahlt man dort – und das nur, wenn man Spitzenverdiener ist.
Auch die Waldörfler sind nicht gerade als Teuerschulen bekannt. Sie überlassen ihren Kunden, wie viel sie zahlen wollen – ohne es zu überprüfen! Mit den christlichen und den Waldorfschulen haben wir aber bereits 84 Prozent aller Schüler an organisierten Privatschulen. Bleiben die Mitglieder im Verband der Deutschen Privatschulen. Auch sie sind keine Ungeheuer. Ihr Durchschnittspreis liegt bei 120 Euro Schulgeld, schätzt man.
Das ist weit entfernt von den 800 bis 1.200 Euro Schulgeld, die etwa die privaten Phorms-Schulen kosten. Oder von den rund 20.000 Euro, welche die International Schools pro Jahr verlangen. Nur haben diese Schulen zusammen eben nur ganz wenige Schüler.
Von den 558.000 Privatschülern, die es laut der Arbeitsgemeinschaft der Freien Schulen in Deutschland gibt, besucht etwa ein Prozent die Phorms-Schulen oder Internationale Schulen.
Das bedeutet: Die wirklich gefährlichen Privatschul-Grüffelos machen nur einen winzigen Anteil der Schüler aus. Ein Prozent der Privatschulen. Das ist weniger als ein Promill der Gesamtschülerzahl! Wer, bitteschön, möchte vor diesen Schule Angst haben?
Es ist wie im Bilderbuch von Scheffler/Donaldson, wo sich das Fantasiewesen Grüffelo in einen Freund der Kinder verwandelt. So ist es mit den Privatschulen. Sie können ein Motor für die Reform des Schulwesens sein. Sie könnten allen Kindern nutzen – wenn wir nicht so viel Angst vor ihnen hätten.
Das Tabu Computerspiel-Sucht
Gefesselt am Bildschirm
Man kann über die Thesen und die Allmachtsphantasien des Dr. Pfeiffer aus Hannover denken, wie man mag. Der allgegenwärtige Kriminologe geht neuerdings dazu über, in Städten und Landkreisen die Bildschirme aus den Kinderzimmern zu räumen. Mit missionarischem Eifer. Sogar das Bayerische Kabinett soll er schon erleuchtet haben.
20 Prozent der Drittklässler daddeln täglich eine Stunde.
Der Umgang der Blogger- und der Gamerszene mit Pfeiffer allerdings spottet jeder Beschreibung - vor allem der mit seinen Ergebnissen. Pfeiffer hat 15.000 Jugendliche nach ihren Spielgewohnheiten befragt. Das Ergebnis kann keinen vernünftigen Menschen kalt lassen: 20 Prozent der Drittklässler spielen eine Stunde täglich an der Konsole, sechs Prozent sind dort drei Stunden täglich gefesselt.
Die Nutzung der Geräte ist eindeutig schicht- und bildungsabhängig. 43 Prozent der Kinder von Eltern mit Hauptschulabschluss haben eine Spielkonsole im eigenen Zimmer. Bei Akademikern sind es 11 Prozent. Auch der Zusammenhang zwischen der Spielhäufigkeit und den Noten ist offensichtlich. Doof spielt mehr.
Es mag sein, dass diese Ergebnisse noch einer konsistenten Theorie bedürfen, welche Kinder warum spielen, wie man damit umgehen kann und wie die Noten zustande kommen. Aber dass da ein Einfluss da ist, das leugnet kein Hirnphysiologe und kein Mediziner - aber die Bloggerszene. Besonders peinlich: Nicht einmal Blogger aus der Lehrerbildung mögen akzeptieren, was da los ist. Ich denke, so was nennt man ein Tabu, oder? Ein Tabu bei den Tabulosen, den Offenen, denen, die jeden Erkenntnisfitzel zu teilen nicht an sich halten können.
"Ja ja, der Storch bringt die Babies." Lisarosa
Pfeiffer garnierte jüngst die Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen mit diesen Zahlen: Jungs haben zu 38 % Spielkonsole zuhause, Mädchen 15,6 %. Da mikrobloggte Lisarosa zurück: " Jaja, der Storch bringt die Babies". Man muss sich das vorstellen: Diese Frau ist kein wow-abhängiger Gamesjunkie. Sie bildet Lehrer aus, sie hat eine hübsche kleine Theorie über das neue Lernen vorgelegt, sie philosophiert gerne mal über die Bedeutung von Zeit in Lernprozessen. Aber wenn man ihr den größten Zeitfresser vor Augen hält - Games und TV-Geräte im Kinderzimmer- , dann kneift sie diese ganz fest zu.
Ich erlaube mir für die zu erwartenden Wutattacken mal eine kleine Zufallsbefragung aus meiner Redaktion bekannt zu geben. Alle, in Worten ALLE Redakteure, Layouter, Fotografen, Mitarbeiter steuerten - ungefragt - Geschichten von Neffen, Söhnen und Bekannten bei, denen man sagte: "Ich glaube, sie haben ein Spielproblem." Weil sie bis tief in die Nacht an ihren Games kleben. Ein Ex-Süchtiger berichtet in der taz über sein Abi und wie viel er in allen Lebensbereichen habe aufholen müssen.
"Die Zeit davor ist wie ein großes Loch."
Es wird Zeit, dass wir uns an den Rand dieses Kraters stellen und schauen, wer schon alles hineingefallen ist. Auch Du, Lisarosa.
mehr dazu von pisaversteher: Unser aller Geballer (mit Arno Frank) Der Betrug mit der Spielstudie
pisaversteher ist nicht der einzige, der so denkt: kritiker der pfeiffer-kritiker
Die Tigerente watschelt Richtung Weltspitze
Die 10-Prozent-Bildungs-Lüge
Vor gut einem Jahr rief Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bildungsrepublik aus. Nun scheint es so weit zu sein – schenkt man den forschen Ankündigungen der neuen schwarz-gelben Regierung Glauben. Man wolle das Land bei Bildung und Wissenschaft "an die Weltspitze führen", sagte Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP). Westerwelle ist Außeniminister, der muss ab sofort von Welt reden. In der Überschrift der Koalitionsvertrags steht Bildung immerhin auf Platz 2. „Wachstum – Bildung – Zusammenhalt“.
Westerwelle: Deutsche Bildung an die Weltspitze
Allein, niemand glaubt den Versprechungen der Regierung. Auf keinem Gebiet ist die Schlucht zwischen Anspruch und Wirklichkeit so groß wie bei der Bildungspolitik. Das wichtigste, das stilbildende Ziel von Schwarz-Gelb ist nach eigenen Angaben, die Ausgaben für Bildung auf einen Anteil von 10 Prozent des Sozialproduktes anzuheben. Tagelang wurde um dieses Ziel gerungen. In jeder neuen Zwischen-Version des Koalitionsvertrages stand der Punkt erneut gelb als „STREITIG“ markiert. Die FDP wollte die 10 Prozent bis 2013, die CDU erst bis 2015. Schliesslich einigte man sich auf 2013.
Doch kein Ziel ist fragiler und fragwürdiger als die Steigerung der Bildungsausgaben. In einem internen Papier machen sich die Finanzminister der Länder geradezu lustig über die Zahl. „Die Zielgröße für die Bildungs- und Forschungsausgaben von 10% am BIP [Sozialprodukt] wird derzeit überschritten und im gesamten Betrachtungszeitraum bis 2015 eingehalten“, steht in dem Papier, das pisaversteher in der taz exklusiv veröffentlichte.
10 Prozent Bildungsausgaben - haben wir längst!
Nichts zeigt deutlicher, wie lächerlich die schwarz-gelben Ankündigungen sind: Hier streitet die neue Regierung um ihr vermeintliches Megaziel – dort rechnen die Finanzminister kühl vor: 10 Prozent Bildungsausgaben, ach was, die haben wir doch längst! Die schwarz-gelbe Tigerente quakt nur mehr über Bildung, die Finanzminister machen daraus eine 10-Prozent-Lüge.
Ist diese Sichtweise zu verhärmt, zu kritisch, zu negativ? Nein, die Situation des deutschen Bildungssystems ist alles andere als Weltspitze. Da muss man nur einen Moment in die Expertenrunde hineinlauschen, die der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband am Wochende auf Schloss Elmau versammelte. Die Lehrer, Wissenschaftler und Publizisten diskutierten darüber, wie und wann endlich die Schule verbessert werden könnte.
Auf dem Weg zur Ständegesellschaft
„Die deutsche Gesellschaft ist auf dem besten Weg, wieder zu einer Ständegesellschaft zu werden", sagte die Autorin und FAZ-Redakteurin Inge Kloepfer – und machte in erster Linie das ungerechte Schulsystem dafür verantwortlich. „Wenn sich ein achtjähriges Kind wegen seiner Erfahrungen und seiner Familie sicher ist, 'dass ich auf keinen Fall das Abitur schaffen werde', dann ist das für eine faire Gesellschaft untragbar“.
Schule des 19. Jahrhunderts
Das war keine Einzelmeinung bei den Elmauer Gesprächen. „In vielem ist Schule noch eine Schule des 19. Jahrhunderts“, sagte der Präsident des Deutschen Jugendinstitutes, Thomas Rauschenbach. „Die alte Schule folgt der Tradition der Verkündigung von vorne. Das prägt die deutsche Schule“, sagte der Vorsitzende der Jury des Deutsche Schulpreises, Peter Fauser. Und forderte: „Wir brauchen eine andere Schule.“ Der Kriminologe Christian Pfeiffer warnte davor, wie längst andere Lehrer das Regiment „Je ärmer der Eltern sind, desto häufiger finden wir Spielkonsolen und Bildschirme in den Kinderzimmern.“
Der Präsident des BLLV, Klaus Wenzel, verriet, warum er nicht locker lassen werde, echte Bildungsreformen einzuklagen: "Ich will mir in zehn Jahren von meinen Enkeln nicht sagen lassen: 'Ihr wusstet doch wie ungerecht die Schule ist. Wieso habt ihr sie nicht verändert?'“