14.09.2009
22:07

Beckenbauer auf die Bank!

kommentar zum frankfurter grundschulkongress

 

Wer das moderne Lernen in Deutschland verbreiten will, der muss den Frontalunterricht als Leitkonzept überwinden. Und durch ein neues ersetzen: Das individuelle Lernen 

Die Grundschule ist die wichtigste Schule – und die beste. Nicht umsonst sind zwei von bislang drei Trägern des Deutschen Schulpreis Grundschulen, die Kleine Kielstraße in Dortmund und die Wartburg in Münster. Die Grundschule ist aber auch jenseits dieser beiden Leuchttürme jene Schule, die ihre pädagogischen Fähigkeiten am weitesten entwickelt hat. Die Grundschule lernt seit 1919 mit allen Kindern zusammen. Das bedeutet, sie hat die größte Erfahrung darin, auf jedes Kind einzeln einzugehen. Man nennt das „individuelles Lernen“.

"Individuelles Lernen nur so ein Begriff"

Dennoch begeht die Grundschule einen Fehler, wie sich beim Kongress des Grundschulverbandes in Frankfurt gerade gezeigt hat. Sie relativiert das „individuelle Lernen“ und wendet sich in Teilen sogar von ihrem Markenzeichen ab. „Individuelles Lernen, das ist nur so ein neuer Begriff“, sagt etwa Friederike Heinzel, Grundschuldidaktikerin aus Kassel. Und Ute Andresen, die anerkannte Virtuosin des Schreibenlernens, konstatiert, dass Kinder die Schreib- oder Schönschrift am besten mit einer Unterrichtsmethode lernen, „die man nicht anders als frontal bezeichnen kann.“

Heinzel und Andresen können plausibel machen, warum sie das individuelle Lernen so lässig betrachten. Heinzel, weil sie sagt, der Terminus „selbständiges und kooperatives Lernen“ bezeichne den Vorgang des individuellen Lernens besser. Andresen, weil sie die Würde des Schreibenlernens als fundamentalem gemeinsamen Lernakt so gut begründen kann. Dennoch begeben sich diese beiden wohlmeinenden Pädagoginnen begrifflich in eine Schmuddel-Ecke: Zu den harten Gegnern des individuellen Lernens.

Individuelles Lernen in der Schmuddelecke

In dieser Ecke steht als Hauptvertreter Josef Kraus, jener Präsident des gegliederten Schulwesens, für den das individuelle Lernen neumodisches und dummes Zeugs ist. Kraus hat ein Buch über Schule verfasst, in dem er über Pisa, die Linke, das gender mainstreaming (!), die Gemeinschafts- und die Gesamtschule herzieht. Kraus´ Buch ist krude – und eine Hymne auf den Frontalunterricht. Hinter Kraus drängeln Leute wie der Gymnasialpapst Heinz-Peter Meidinger und Walter Scheuerl, der Boss der Bürgerinitiative „Wir wollen lernen“, ein listiger Anwalt, der die sechsjährige Grundschule in Hamburg verhindern will. Sie alle haben nur ein Ziel: Sie wollen die gegliederte Schule um jeden Preis erhalten. „Individuelles Lernen“ ist für sie ein Kampfbegriff. Mit solchen Leuten muss man sprechen – aber sich nicht gemein machen mit ihnen. Sie stehen gegen alles, was Heinzel und Andresen pädagogisch darstellen; aber sie halten das gleiche Schwert in der Hand. 

Falsche Vorstellung Frontalunterricht

Das individuelle Lernen hat sich zum Gegenpol des Frontalunterrichts entwickelt. Deswegen ist es so wichtig, ihn inhaltlich präzise zu füllen. Denn was Frontalunterricht ist, dass wissen wir alle. Weil wir ihn leidvoll erlebt haben, und weil er mit der Feuerzangenbowle zur Chiffre des Lernens aus dem 19. Jahrhundert geworden ist. Frontalunterricht ist als Bild in unsren Köpfen – und als falsche Vorstellung. Denn frontal steht für ein Lernkonzept, das mit dem Lernen in einer “Schule für alle“ unvereinbar ist. Weder eine vereinte Haupt- und Realschulklasse, noch eine Gemeinschaftsschule, schon gar nicht die Arbeit mit behinderten oder hochbegabten Kindern kann Frontalunterricht als Mittel der Wahl hinnehmen.

Wir leben in einer Zeit, da Schulen mehr und mehr zusammengelegt werden. Aus Vernunft, weil man zusammen besser Schule machen kann. Oder aus blanker Not, weil die Kinder in den ländlichen Gebieten ausgehen und deswegen meist nur eine Alternative besteht: Fusionieren oder schließen. In dieser Zeit geht es gar nicht anders, als den Frontalunterricht durch ein Lernkonzept zu ersetzen, das es möglich macht, Kinder verschiedener Geschwindigkeiten, Talente und Interessen gemeinsam arbeiten lassen – und zwar so, dass der schnellere und der langsamere am besten gefördert werden: Das geht ausschließlich – mit individuellem Lernen.

Beckenbauer auf die Bank, Dr. Pfeiffer ins Schulmuseum

In der Bundesliga hat der Libero mit seiner Überfigur Franz Beckenbauer über Jahre hinaus das Spielkonzept geprägt. Es gibt Trainer wie Ralf Rangnick, die sagen: Der Libero hat den modernen Fußball 20 Jahre lang verhindert. Um die Viererkette und einen Fußball spielen können, bei dem alle Spieler gleichberechtigt nach ihren jeweiligen Talenten dabei sind, braucht man keinen Libero, mehr noch: Man darf keinen mehr haben. Beckenbauer muss auf die Bank!

Genauso ist es mit dem Frontalunterricht und dem individuellen Lernen: Wer in einer flexiblen und offenen Lernanordnung ohne den großen Alleswisser vorne an der Tafel auskommen will; wer allen Talenten und Geschwindigkeiten in der Klasse Platz geben will, der muss Heinz Rühmann aus dem Klassenzimmer verbannen. Dr. Pfeiffer aus der Feuerzangenbowle gehört ins Schulmuseum. Dieser große Meister des Frontbeladens muss aus den Köpfen vieler Lehrer, Pädagogen und vor allem der Studienräte verschwinden. Denn sie sind es, die den Frontalunterricht nicht als EIN pädagogisches Instrument unter vielen sehen, sondern als DAS übergreifende Konzept.

Das sollten auch die Grundschulen und ihre Lehrer begreifen. Denn sie sind die Vorbilder und Taktgeber der nächsten Jahre. Weil sie lange wissen und praktizieren, wie man individuell lernt.

13.09.2009
22:53

Was Grundschule braucht

Schlussspurt des Grundschulkongresses

Am Ende des Grundschulkongresses in Frankfurt zeigten die Primarlehrer, dass sie wisssen, was sie für ihre Schulen wollen. So betulich es am Anfang war, so schwungvoll beklatschten die 800 TeilnehmerInnen die acht Forderungen für die Grundschule - die durchaus überraschend sind.

Acht Forderungen für die Grundschule

Die erste und wichtigste Forderung heißt, dass "Kinder ermutigende Zuwendung von Erwachsenen brauchen."

Dazu kommt, dass Schulen Bildungszentren im Stadtteil werden sollen, die ein soziales und kulturelles Netz sein sollen. 

Die Grunschullehrer verlangen weiter:

- Bildungszeit vor der Schule
- eine Schule ohne Auslese
- kleine Lerngruppen
- Räume, in denen Kinder lernen und leben können
- Ganztagsschulen
- besondere Unterstützung für Risikoschüler

Das ist alles ein bisschen viel auf einmal. Die Öffentlichkeit hätte sich sicher gewünscht, dass man es deutlicher konzentriert.

Interessant ist, wie einfach so etwas Richer Meier formulieren kann. Meier wurde mit dem Erwin-Schwartz-Preis des Grundschulverbandes ausgezeichnet. Meier, der emeritierter Professor für Grundschulpädagogik an der Uni Frankfurt ist, wünschte sich dreierlei: 

- "Die Gesellschaft möge den Kindern und den Lehrern auf Dauer Vertrauen schenken." - Da brach tosender Jubel unter den KongressteilnehmerInnen aus.

- Dass die UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen Wahrheit wird - "um diesen Kindern mit ihren anderen und faszinierenden Fähigkeiten in der Schule Platz zu geben." 

- eine bundeseinheitliche Lehrerbildung

12.09.2009
11:06

Buchstaben als Kunstwerke

Rätselhaftes, das bleiben soll

Begeisternder Workshop von Ute Andresen beim Grundschulkongress in Frankfurt. Die Pädagogin zeigt, wie viel Lernaufwand im Schreibenlernen steckt, wie viel Anmut und Fleiß es erfordert, die kinetische Melodie des Schreibens sich anzueignen - und wie viel kreatives Potenzial dazu gehört.

"Das Kind, das einem gegenübertritt", sagt Andresen, "hat immer etwas Rätselhaftes - von dem es auch etwas behalten soll."

Andresen sieht einen Dialog zwischen drei Beteiligten: Dem Kind, dem Lehrer - und dem Gegenstand. Sie sagt: Die Beziehung zwischen Lehrer und Gegenstand hält sie für gestört. Denn es gebe heute viele vorgefertigte Arbeitsblätter im Unterricht, die dem Kind zeigen: Das interessiert den Lehrer nicht. Diese Arbeitsblätter sind, sagt Andresen, so etwas wie Fertiggerichte.

"Die Lehrerin wird angesehen als eine Art pädagogische Mikrowelle, die das Fertiggericht für die Kinder heiß macht. Am inspirierendsten ist aber der Text, bei dem die Kinder sehen: Den hat unsere Lehrerin für uns gemacht."

Andresen hat einen sehr genauen Blick auf das Kind. Sie sagt, "wenn man Lehrerin ist, darf man nie vergessen, dass es Kinder in der Klasse gibt, für die ihre innersten Vorgänge oberste Priorität haben."

Das Schreibenlernen hat für sie eine große Bedeutung - ästhetisch, kongnitiv und erzieherisch. "Jeder Buchstabe, der mir schön aus der Hand fließt, ist ein Kunststückchen, das ich beherrsche."

"Es kommen zusehends Kinder in die Schule, die den Stift falsch halten oder die Buchstaben falsch schreiben." Das sei erstens sehr schwer zu korrigieren und es sei zweitens immer mit einer Kränkung verbunden.

Andresen sieht das Schreibenlernen als ein absolut fundamentalen Lernvorgang an - der am besten durch gemeinsames Lernen eingeübt wird. Das Kind solle das lieber nicht für sich lernen. Warum? Weil es wichtig ist, das motorisch Muster für das Schreiben bei den Kindern von Anfang an richtig zu verankern. "Denn wenn ich ein motorisches Muster gelernt habe, dann sitzt das."

Es geht um die Eleganz und die Geschwindikeit des Schreibens. Zunächst muss etwas elegant sein. Dann kann es auch schneller werden. "Das große Problem, besonders bei Buben ist, dass sie zu hastig schreiben."

Das interessante und auch streitige an Andresens Workshop: Ihre Auffassung von Lernprozessen, "die nicht als anders als frontal zu bezeichnen sind" und dem individuellen Lernen - dem sie an bestimmten Stellen skeptisch gegenübersteht.

Das bedeutet: Die Frage, was individuelles Lernen darstellt, ist selbst unter Pädagogen nicht wirklich fest umrissen.

Kongress wird fortgesetzt.

 

08.09.2009
09:56

LERNEN2.0 - wie es wirklich geht

Warum Netbook-Klassen nicht scheitern müssen

Er ist einer der wichtigsten Vertreter des Lernen2.0, Olaf Kleinschmidt, it-fittester Lehrer Deutschland. Im Interview mit pisaversteher zeigt er nun, was in Frankreichs Netbook-Klassen wirklich schief gelaufen ist - und worin die ungeheure Kraft des neuen Lernens stecken könnte. 

Das ganze Interview gibts heute auf der taz-Bildung. Vorab bei pisaversteher ein paar Kernsätze:

- ES GIBT IMMER NOCH viele Lehrer, DIE SICH WEIGERN FÜR DEN UNTERRICHT EINEN COMPUTER EINZUSCHALTEN, GESCHWEIGE DENN IHN IM UNTERRICHT SACHGERECHT EINZUSETZEN.

- "Laptop und Web2.0-Anwendungen bedeuten für den Lernenden: Erstens die intrinsische Motivation. „Ich mache das, um mich selbst zu entwickeln“ - das ist das Prinzip, das der Computer erleichtert. Zweitens wird es mit vernetzten Geräten viel leichter, individuelles und zugleich gemeinsames Lernen in der Klasse zu praktizieren."

- zu Netbook-Klassen, wenn sie gut gemacht sind: "Alle physischen Begrenzungen fallen weg – sei es die Wand des Klassenzimmers. Der Lernraum wird unendlich und er verwandelt sich auch von der Methode her grundlegend. Es geht um die idealste Kooperation für die beste Problemlösung – das ist die durch Web2.0 möglich gemachte neue Form der Wissensproduktion: Alle an alle, Schwarmintelligenz ist überall."

Kleinschmidt entwirft eine IT-Strategie für die Republik - und er fragt sich, wie ernst es die Politik eigentlich meint, wenn sie vom neuen lernen immer nur schwatzt, es aber nicht befördert. 

später mehr.

04.09.2009
22:37

Das Potenzial einer demokratischen Selbstreformschule

Wer frei-öffentliche Schulen mit Bertelsmännern verwechselt, hat wenig von der älteren und neueren Reformpädagogik verstanden. Auf den Ruinen einer gescheiterten Staatsschule lässt sich keine demokratische Schule gründen VON CHRISTIAN FÜLLER

Replik auf viele Repliken im Freitag

Ein Text im Freitag löste eine Flut von Repliken aus, die wie üblich die ungerechte Staatsschule vergotten. Das hier ist ein bisschen lang geraten, aber es lohnt sich, glaube ich. ;-)

Ich habe ein paar Tage in diesem Leserblog (des Freitag, cif) geschwiegen, wiewohl ich überwältigt war von der Reaktion auf meinen Text „Lasst die Schulen los!“. Überwältigt von dem Wellenschlag, den das Thema „gute Schule“ immer wieder auslöst. Und zugleich ein wenig ratlos, wie kleinherzig und verstockt Freitagleser neues Lernen diskutieren.

Aber ich will nicht in Vorwürfe gehen, sondern versuchen, positiv zu umreißen, welches enorme emanzipatorische Potenzial in einer entschieden entstaatlichten Schule steckt, die ihre gesellschaftiche Verantwortung endlich wieder wahrnimmt. Denn Schule, darüber sollte unter aufgeklärten Bürgern Einigkeit zu erzielen sein, Schule ist heute immer noch eine Apparatur, die auf Auslese und nicht auf Förderung des einzelnen Kindes zielt; die respektlos über die seelischen Bedürfnisse vieler Kinder hinwegdoziert; die insgesamt ein System organisierter Verantwortunglosigkeit darstellt.

Ich will nur zwei Hinweise geben, die hier bislang kaum Erwähnung fanden, die aber nicht ganz unwichtig sind, um die Effekte der herrschenden Staatschule zu begreifen: Es handelt sich um nichts weniger als eine soziale Katastrophe.

Effekt von Staatsschule: Soziale Katastrophe

Wie kann es, erstens, sein, dass trotz eines völkerrechtlich wirksamen Vertrages (UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen/Kinder) nach wie vor einige Bundesländer es rundweg ablehnen, behinderten Kindern Zugang zum allgemeinen Schulwesen zu geben? Es herrscht, was auch hier viele nicht wissen, hierzulande ein Sonderschulwesen, in das über 400.000 Kinder wegsortiert werden. Teilweise indem sie einer entwürdigenden Begutachtung unterworfen werden, und in dem ihre Lernzuwächse erwiesenermaßen miserabel, teilweise negativ sind.

Und wie kann es, zweitens, sein, dass 10-jährige Kinder in Marienthal-Schulen eingewiesen werden, die beschönigend Hauptschulen heißen, deren „differenzielle Lernmilieus“ aber die Entwicklungschancen dieser Kinder zu urteils- und berufsfähigen Bürgern und Staatsbürgern stark beeinträchtigen. So stark, dass der Berliner Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Jürgen Baumert, mehr oder weniger deutlich sagt: solche Hauptschulen muss man eigentlich schließen. Sofort schließen.

Vielleicht rührt die Bitterkeit, die ich im Verlauf der Leser-Blogger-Debatte des Freitag verspürte, auch daher, dass hier mit lässiger Geste zum besten gegeben wurde: „Schulstrukturdebatten führen nicht weiter“. Zu deutsch: die Hauptschule kann bleiben. Und: Die Formel, „Kinder auf die Lern- und Arbeitswelt von morgen fit zu machen“ sei eine neoliberale Gemeinheit, ja, es verstehe sich von selbst, dass man so etwas nicht fordern dürfe. Selbst der kluge Karl-Heinz Heinemann benutzt diese Denkfigur – was ich für einigermaßen für realitätsblind und beschönigend halte.

Flucht in einen leeren Bildungsbegriff

Wer hier die Staatschule als den Hort der Glücksseligkeit propagiert, der sollte zur Kenntnis nehmen, dass sie keine demokratische Schule ist, sondern eine Art pädagogisches Apartheidsystem statuiert. Da hilft auch nicht die Flucht in einen humanistischen, aber leeren Bildungsbegriff: Hier trompeten manche in der Pose des Sozialrevolutionärs die unverzweckte Bildung – und verweigern nebenbei das Recht von rund 1,2 Millionen Jugendlichen auf die Chance zur Entwicklung. So viele sind es nämlich, welche in den niederen Kasten der ach so gerechten Staatsschule gehalten werden - ohne Chance auf Zukunft. Karl-Heinz, das solltest du den Lesern, bitte, nicht verschweigen.

Es bestehen wenig Zweifel, dass man nur über eine gründliche Strukturreform eine demokratische Schule in Deutschland erzeugen kann. Beinahe zwingend damit wäre eine völlig neue Lernkultur verbunden. Denn es ist nicht trivial, ab der sechsten, siebten Klasse heterogene Lerngruppen gemeinsam zu unterrichten. Aber das wäre notwendig, wenn man Haupt- und Sonderschüler nicht mehr aussondern dürfte, sondern auch ihnen den Zugang zu allgemeinen Bildung ermöglicht. In der Szene der Schulreformer wird daher ein starkes Fortbildungsprogramm für LehrerInnen gefordert. Und zwar eines, das die Lehrerschaft weg bringt von der üblichen Frontbeladungsmaxime und ihre Bereitschaft und Fähigkeiten öffnet, Kinder individuell zu unterrichten.

Eltern: Die Don Quichotes der KMK-Schule

Es gibt noch ein weiteres wichtiges Merkmal der deutschen Schule, das ist ihre perfide Zuständigkeitsfalle. Sie wird erzeugt durch ein ausgefeilt bürokratisches System, das aus bis zu drei Ebenen besteht und Eltern nicht selten zu hilflosen Don Quichotes macht. Dieses System raubt der Einzelschule und insbesondere dem Schulleiter auch noch einfachste Kompetenzen. Teilweise muss er für die Anschaffung von elektrischen Anspitzern Schulräte um Erlaubnis fragen. Die Rektoren sollen ihre Schulen entwickeln – die wichtigste administrative Kompetenz aber bekommen sie gar nicht: Sich geeignete Lehrer dafür auswählen und selbst einstellen zu können. Jeder Mensch, sei er Nachwuchstrainer, Partyveranstalter, Firmenchef oder Abteilungsleiter erhält selbstverständlich das Recht, seine Spieler/Mitarbeiter selbst auszuwählen – nur die Schulleiter nicht. Es liegt auf der Hand, dass Schulleiter dieses Personalrecht dringend brauchen! (Bloggenden Freitagslesern gilt das freilich als neoliberales Teufelszeug.)

Natürlich geht es dabei nicht um einen gouvernementalen Selbstzweck, sondern darum, sich in einem Team ein Schulprogramm zu geben – zusammen mit den Pädagogen und der demokratischen Schulkonferenz. Und es geht darum, den Schulleitern den Rücken durch ein fähiges Schulmanagement freizuhalten, so dass diese Visionen, oder einfacher Ziele formulieren können. Man kann dies tun, indem man etwa sagt, die Armut in der dritten Welt muss überwunden werden. Die ökologische Selbstzerstörung, ein leider sehr reales Szenario, möge gestoppt werden. Das klingt abstrakt. Aber es gibt Schulen, die ihre Schülern solche Fragen sehr konkret stellen lassen – und dadurch eine ungeheure pädagogische und moralische Kraft entwickeln.

Moralische Kraft einer Schulvision

Etwa, wenn in der Reformschule für Hamburg Winterhude ein Junge in einem dreiwöchigen Projekt einen Fußball selbst näht und die Strukturen von Kinderarbeit in Pakistan analysiert. Dies ist nur möglich durch einen radikalen Wandel der pädagogischen Struktur der Schule. Denn in die normale Stundentafal passen solche Drei-Wochen-Projekte einfach nicht. Einem Wandel von der Frontbeladung hin zum individuellen Lernen in Arrangements wie Wochenplan, Freiarbeit, Lernbüros und großen Projekten. (Hier im Freitag wurden solchen Lernprojekte als substanzlose Alternativen zum normalen Unterricht abgetan.)

Es ist nicht sicher, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass eine so gestärkte Einzelschule den Mumm hat, sich aus der bürokratischen Umarmung durch Schulräte zu lösen. Das Ziel ist dabei eben nicht, eine formale Direktoren-Kompetenz zu erhalten. Sondern jene administrativen Kompetenzen, die so etwas wie Autonomie ermöglichen.

Föderasmus: Laptops ins Grundgeset

Hat irgendjemand die Hoffnung, dass die Konferenz der Kultusminister (KMK) solche autonomen Schulen befördern würde? Die beiden großen Modernisierungsbremsen, die Bundesländer und die KMK, haben durch die Föderalismusreform I noch weitere Kompetenzen erhalten. Es wurde ernsthaft so etwas wie ein Kooperationsverbot von Bund und Ländern eingeführt. Um zum Beispiel im Zuge des Konjunkturpakets die Anschaffung von whiteboards und Laptops für die Schulen zu erlauben, musste tatsächlich die Verfassung geändert werden! Bedarf es noch eines weiteren Beweises wie irrsinnig dieser Föderasmus ist?

Es gibt nicht viele Erfahrungen, wie der Föderalismus gelockert werden könnte. Aber es gibt eine begründete Hoffnung, dass Schulentwicklung ohne die schädlichen Einwirkungen der KMK besser laufen könnte. Jedenfalls haben sich die etwa 100 exzellenten Schulen aus dem Reform-Netzwerk „Blick über den Zaun“ bzw. die Schulpreisträgerschulen (wie die Grundschule Kleine Kielstraße in Dortmund) eher GEGEN einzelne Kultusminister-Vorgaben entwickelt als WEGEN ihnen.

Spricht man mit Schulentwicklern vor Ort, dann beklagen sie das Problem, dass sie an das Geld und die Kompetenzen für Schulreform oft nicht herankommen. Unter den Protagonisten einer Selbstreformschule wird daher eine – wie ich sie im Freitag gefordert habe – starke überregionale Agentur ins Gespräch gebracht, zum Beispiel eine gut dotierte Bundesstiftung, die das nötige Geld direkt in die Schulen gibt, etwa über Reformausschreibungen. (Und damit ist natürlich nicht die Bertelsmannstiftung gemeint. Warum auch?)

Die vielleicht ideale Organisationsform einer solche Schule ist die charter school, sie ist eine frei-öffentliche Schule. Sie gibt sich ein Programm, sie wird durch die Kommunen oder andere Träger betrieben, aber sie bleibt staatlich. Mancher mag das – aus Unwissenheit oder einer etatistischen Virusgrippe – für neoliberals Zeugs halten. Aber der sollte mal die Menschen in den vielen Graswurzelschulen fragen, in den Waldorfschulen, den katholischen und evanglischen Schulen oder den freien Reformschulen. Keine von diesen Schulen sieht sich als Privatschule, sondern als gesellschaftlich getragenes und kontrolliertes Reformprojekt.

Auf dieser Tradition lässt sich eine demokratische Schule errichten – aber, pardon, nicht auf den Ruinen der selektiven staatlichen Chancenzerstörungsschule.

pisaversteher.de