31.08.2009
17:51

Rinks und Lechts gegen gute Schule

Linke Reformblockierer

Leitartikel für den Freitag, das schreibt man gern. Jakob Augstein hat das Intellektuellenblatt, das aus dem Sonntag hervorging, übernommen - und versucht es mit Grassmann und Kabisch zu einer linken Edelpostille zu machen. Man wähnt sich mit dem Freitag bei einer linken Avantgarde, auf dem online-Titel klebt überall irgendwie Guardian mit drauf.

Allein, es wird ein großer Irrtum.

Da mögen die neuen Blattmacher noch so modern sein, im Leserfeedback gibt es richtig auf die Fresse. Da sind ein paar dogmatische Linksblogger am Werk: Dass sie hinter einer unabhängigen Bundesstiftung immer nur Bertelsmänner sehen - geschenkt; dass sie freie Schulen konsequent mit Profitbuden vertauschen - nun gut, 150 Jahre etatistische Preußenschule müssen ja irgendwo ihre Spuren hinterlassen.

Dass sie aber den Frontalunterricht quasi durch die Bank hochleben lassen. ("Auf den Frontalunterricht einzudreschen ist im Moment sehr angesagt...") - das ist ein Schreck, nein ein Schock. Von den exzellenten Schulpreisschulen - haben sie noch nie etwas gehört, "Systemdebatten halten sie in der Tat für nicht besonderes hilfreich." Hilfe, wo ist lechts, was ist rinks!

Sie denunzieren in 124 Beiträgen den Schreiber; sie kennen das Wort individuelles Lernen schlicht nicht. Und das obwohl Spätpromovierende über guten Unterricht dabei sind. Irgendwann schreibt einer der Leser voller Verzweiflung:

"Sind das Verteidigungsreden, dass alles so bleiben soll wie immer? Keine Krise des Schulsystems?" 

Der Freitag ist eben nicht der Guardian, seine Leser auch nicht. Dennoch wirft es ein Schlaglicht auf die Komplexität einer Schulreform: Rechts steht die konservative Kamarilla und blockiert mit ihrer Kulturhoheit der Länder jeden Modernisierungsversuch; links steht eine verstockt-dogmatische Linke, die Wangen von "neolibben" Bertelsmann-Ohrfeigen gerötet und heult ohne Unterlass.

Schule in Deutschland leidet unter der organisierten Verantwortungslosigkeit einer vielschichtigen Kultusbürokratie.

Aus deren Würgegriff ist sie praktisch nicht zu befreien. Aber sie leidet genauso darunter, dass die Gesellschaft mit dem Finger auf die Schulen zeigt  und sagt - die muss der Staat reformieren, damit haben wir nichts zu tun! Das ist die Fortsetzung der staatstreuen Ohnmacht. Schule? Geht uns nichts an. 

Aber, auch die Indolenz der Freitag-Leser wird nicht verhindern, dass ein neues Zeitalter des Lernens anbricht. Die Schulreform in ihrem Lauf - dieses Bonmot lieben sie - , hält weder Ochs noch Esel auf. Freitag, Lasst die Schulen los!

Inzwischen gibt es eine Reaktion des geschätzten Kollegen Karl-Heinz Heinemann, ebenfalls im Freitag.

30.08.2009
16:36

Die Sortiermaschine

Länger zusammen lassen - weniger Sortierfehler

Stellt die Sortiermaschine ab – endlich!

Zum wiederholten Male ist bewiesen, dass die Schule unsere Kinder in Schubladen steckt – sehr oft die falschen. Das Lotteriespiel Begabungsauslese muss aufhören VON CHRISTIAN FÜLLER

Was die Forscher des Berliner Wissenschaftszentrums herausgefunden haben, ist nicht wahnsinnig neu – aber des wegen ist es nicht weniger skandalös. Die deutsche Schule sortiert viele Kinder falsch. Sie landen nach der Grundschule in Schulformen, die sie unterfordern und ihnen Chancen rauben. Diese Sortierung ist, das ist das Problem, oft nicht mehr zu verändern – denn unsere Schule ist nach wie vor eine Start Kastenwesen.

Was die Wissenschaftler herausgefunden haben, weiß jeder Lehrer: den passgenauen „Hauptschüler“, der mathematisch, sprachlich, technisch immer so talentiert ist, dass er nur in die eine Schulform gehört, den gibt es nicht. Kevin stammelt vielleicht in Deutsch – dafür ist er ein kleiner Mathegenius. Und Ayshe würde es locker auf die Uni schaffen – wenn die Schule sie fördern und nicht auslesen würde. Auch zwischen Realschülern und Gymnasiasten gibt es erhebliche Überlappungen. Insgesamt werden 17 Prozent der Schüler falsch einsortiert ins Kastenwesen.

Was tun? Wir müssen endlich die Sortiermaschine abstellen und Kinder länger zusammen lernen lassen. Bis zur sechsten, besser noch bis zur achten Klasse. Denn nur in Deutschland und Österreich gibt es das noch, dass man 10-jährige krampfhaft auf die richtige Schulform lost - die dann oft die falsche ist. Das ist für alle Beteiligten blöd: die Lehrer, weil sie fürs Auslesen nach Fehlern und Schwächen suchen müssen; für die Kinder, weil sie sich ab der dritten Klasse permanent unter Druck gesetzt fühlen; und für die Eltern ohnehin, weil sie immer Angst haben, das sich die Tür zum Abitur schließt.

Man könnte sich den unproduktiven Stress ersparen. Längeres gemeinsames Lernen heißt die Devise mit individuellen Lernformen wie Freiarbeit, Wochenplan, Lernbüros und echten großen Lernprojekten, in denen die Kinder all ihre Talente entfalten können.

Und wieso stänkert dann der oberste deutsche Studiendirektor Heinz-Peter Meidinger gegen die Studie? Ganz einfach, er kriegt ja Geld dafür. Er muss als ihr Obberlobbyist die Gymnasien verteidigen. Wenn er behauptet, die Studie sei unwissenschaftlich, dann ist er schlecht informiert. Alle renommierten Forscher kommen zu dem gleichen Schluss: Man kann Kinder nicht korrekt und trennscharf sortieren, dazu sind sie zu unterschiedlich. Dass Meidinger so laut und so falsch aufschreit zeigt: Mit jeder Studie durchschauen Eltern die Ausleseideologie besser – und wenden sich Schulformen zu, die nicht sortieren, sondern jedes Potenzial der Kinder fördern.

18.07.2009
01:47

Zum Dialog - mit Vorladung

Die erste zuständige und dialogbereite deutsche Schulbehörde

Bei Recherchen zu bayerischen Schulsituation ist pisaversteher auf einen bemerkenswerten Satz gestoßen: Johannes Hardenacke, der Sprecher der Regierung von Unterfranken sagte: 

„Wir sind im Schulbereich stets zu einem offenen Dialog mit Schulämtern und Schulleitern bereit.“

Was bedeutet dieser Satz? Gesprochen vom Sprecher einer Schulaufsichtsbehörde.

Liegt die Bedeutung auf Dialog - also, dass die Schulbehörde nicht nur Verordnungen und Rundschreiben herausgibt, sondern auch spricht.

Oder fokussiert Johannes Hardenacke auf Schule. Also: Die Schulbehörde ist für Schulen zuständig!

Nein, nein, nein. Bleiben Sie um Himmels willen dran. Das ist nicht trivial, was die unterfränkische Schulbehörde von sich gibt. 

1) Hardenacke sagt: Wir sind zuständig! 

Dass sich eine Schulbehörde zu ihrer Zuständigkeit für Schulfragen bekennt, ist durchaus ungewöhnlich. Im deutschen Schulsystem herrscht üblicherweise so etwas wie organisierte Verantwortungslosigkeit.

Für das Schulessen von Hartz-IV-Empfängern etwa ist niemand formal zuständig. Es musste in Deutschland lange gerungen werden, dass arme Kinder in Ganztagsschulen wirklich etwas zu essen bekommen.

Wenn - wie vor einiger Zeit in Berlin geschehen - nicht genug Schulplätze für Grundschüler da sind, gibt es viele Zuständige - aber keinen Verantwortlichen. Bei Schulschließungen ähnlich. Wenn eine Schule geschlossen wird, kann man nie jemanden dafür verantwortlich machen. 

Am besten ist es bei Schulbibliotheken. Auf einer Konferenz der "Stiftung Lesen" fragte jüngst jemand, wie es denn mit der Idee wäre, nach dem Lesedesaster bei der Pisastudie in jeder Schule eine Bibliothek einzurichten.
„Das ist eine tolle Idee", stöhnt jemand, "aber sie ist nicht umsetzbar, weil es für eine Schulbibliothek generell keine Zuständigkeit gibt“.

Die mittlere Schulbehörde in Würzburg ist in unseren Augen daher ein Vorbild: Sie bekennt sich zu ihrer Zuständigkeit

2) Hardenacke sagt: Wir sind zum Dialog bereit!

Auch das eine ungewöhnliche Formel. Das letzte Mal hat pisaversteher sie vor 20 Jahren gehört – damals hatte die Staats- und Parteiführung der DDR die Demonstranten gegen des 40-jährige DDR-Jubiläum niederknüppeln lassen. Anschließend merkten Honecker, Mielke und seine Stasischergen, dass sie ein bisschen spät zugeschlagen hatten. Und sagten: Wir sind bereit zum offenen Dialog. In der Geschichte ist es so, dass Dialogbereitschaft stets von Regimen betont wird, die Dialog zuvor üblicherweise nicht nötig hatten. 

Und wie geht es nun weiter mit der ersten zuständigen und dialogbereiten deutschen Schulbehörde?

Johannes Hardenacke und seine Schulräte treten mit jenen Schulleitern aus Bad Kissingen in einen Dialog ein, die kürzlich in einem Brief ihre Sorge um die Schulen dort geäußert haben. Der Brief ging an den Ministerpräsidenten und den Kultusminister Bayerns. 

Damit der Dialog funktioniert, haben Hardenacke und die Schulbeamten die renitenten Rektoren nach Würzburg vorgeladen. Sie wollen sie rügen, denn die Schulleiter hätten den Dienstweg nicht eingehalten.

Hardenacke hat vollkommen Recht.

Wo kämen wir denn hin, wenn Schulleiter einfach Schreiben an Schulminister verfassten, indem sie sich über ihre Schulen Sorgen machen!

Das muss dialogisch geklärt werden! 

Hardenacke ergänzte: "Eine 'förmliche' (beamtenrechtliche) Mißbilligung durch die Regierung von Unterfranken ist damit nicht verbunden." 

Das bist der einzige Satz, den pisaversteher nicht versteht:

Müssen wir uns etwa Sorgen machen um die zitierten Schulleiter?

 

15.07.2009
00:32

Hauptfach: Bäume ausreißen

Man muss Verbotenes machen

Wann gibts so was schon? Jemand stellt ein Buch vor - und es kommen fast 300 Leute. So am Dienstag abend in der brandenburgischen Landesvertretung beim Bund, als Ulrike Kegler ihr Buch "In Zukunft lernen wir anders" präsentierte. (die taz übers Buch)

Das Bemerkenswerte waren die Sätze. Die Rektorin der Montessori-Gesamtschule sagte wunderbare Sätze.

Eine Auswahl:

zur Veränderung von Schule: „Heute weiß, ich dass man Sachen machen muss, die verboten sind“. (Wenn man Schule verändern will.)

Über das Prinzip des Lernens: „Darum geht es: dass man jedes Kind einzeln wahr nimmt.“

Über die Lehrerrolle: „Ich habe früher auch Lehrerin gespielt (und von vorne den Takt angeben wollen). Irgendwann habe ich gemerkt: Wenn alle alles gleichzeitig machen sollen, dann bringt das nichts.“

„Wenn man anfängt zu handeln und in der Schule etwas zu verändern - dann gibt es Ärger.“

„Wenn man die alte Kirchenordnung infrage stellt – vorne der Altar, die Bänke und die Schäfchen - , dann entstehen Interessenkonflikte.“

„Schule ist der erste Ort, an dem Gemeinschaft gebildet wird.“ (nach v. Hentig)

Das neueste Projekt von Ulrike Kegler heißt Schlänitzsee 1. Auf dem ehemaligen Stasi-Gelände soll eine Art Freizeitbauernhof entstehen. Die Kinder der 7. und 8. Klassen haben dort viel zu tun - man begann damit, Platanen zu fällen:

„So einen Baum zu fällen, das war schon ein guter Anfang für die Schüler. Sie wussten: Es ist ernst gemeint.“

Reinhard Kahl war der Gesprächspartner Reinhard Kahls. Er sagt dazu: „Das Hauptfach, dass die Kinder haben müssen, heißt Bäume ausreißen.“

Über die Idee des neuen Projekts: „Das Ziel ist, dass sie nicht mehr in die Schule gehen.“

Über den Umgang mit den Schülern: „Man muss mit den Kindern viel reden. Obwohl – man darf auch nicht zu viel reden, sonst wollen sie immer nur reden, sie zerquatschen dann alles und machen nix mehr.“

„Schule ist zu klein als Ort.“ (Sie wird den Kindern nicht gerecht.)

Über ihr Ethos als Lehrerin: „Es würde mich glücklich machen, wenn die Kinder im Unterricht nicht mehr im Gleichschritt marschieren müssen. Und wenn Kinder nicht mehr aussortiert werden.“

Ulrike Kegler zitiert den Schulrat, der zu einer Inspektion in die Schule kam:

„Wir haben Sie das geschafft? Sie geben keine Zensuren – und trotzdem sind ihre Schüler besser als an anderen Schulen. Verraten Sie mir, wie Sie das geschafft haben?“

„Die Eltern geben mir ja das Beste, was Sie haben – ihre Kinder. Eltern sind aber oft auch diejenigen, die das neue in den Schulen blockieren. Man muss viel mit den Eltern sprechen. Irgendwann muss man dann aber auch sagen: Es ist genug geredet, gehen Sie mit Ihrem Kind an eine Schule, die Ihnen gefällt. Eltern dürfen auf keinen Fall bestimmen, ob und welche Noten gegeben werden.“

„Eine Lehrerin sagte zu mir: 'Irgendwann wirst Du auch noch ruhig.'“

„Ich bin mir sicher, dass Schönheit in der Schule die größte Rolle spielen sollte.“

11.07.2009
09:04

Der Spagat der Kinder- und Jugendstiftung

Impulsgeber - oder Beruhigungspille?

Darf eine gesellschaftliche Reformwerkstatt wie die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung einen halben Staatsakt zu ihrer Geburtstagsparty machen?

Sie darf - aber die Fete im Berliner E-Werk (10. Juli) - zusammen mit zwei Bundespräsidentinnen-Gattinnen, einem finnischen Bildungsminister, dem grimmig-wachen Roland Koch neben dem vergnügten Klaus Maria Brandauer - macht es der Stiftung nicht leichter. 

Weiß man doch nicht, was die Kinder- und Jugendstiftung, die unter anderem das Ganztagsschulprojekt zwischen Bund und Ländern balanciert, nun eigentlich ist.

Schiebt die DKJS wichtige Projekte an und führt sie zum Erfolg?

Oder ist klebt sie nur Pflästerchen (Motto: "Wir schließen Lücken") aus kleinen best-practice-Modellen - die über den verpassten Big-Bang bei der Bildung hinweg helfen sollen?

Man kann der Geschäftsführerin Heike Kahl und ihren exzellenten Leuten schwer Ratschläge geben. Die schlagen sich täglich mit verstockten Kultusbürokratien herum – und müssen bleiben, bis Ergebnisse da sind. Der Journalist segelt einmal vorbei, schaltet seine Sirenen an - und dann ist ihm wieder langweilig.

Ich glaube, dass wir den Bigbang brauchen, einen richtigen Neues-Lernen-Ur-Knall.

Den kann eine Stiftung nicht zünden. Leider – obwohl. Wieso soll man nicht mal träumen!

Die DKJS bekommt ein Stiftungskapital von 2 Milliarden Euro – zur Hälfte aus der Wirtschaft, zur Hälfte aus der Hyporeal-Bürgschaft! Jawohl. 2 Milliarden. Sofort.

Und dann macht Heike Kahl drei kluge Sachen:

Erstens richtet sie eine Führungskademie für Rektoren ein – eine Change Leadership-Programm wie in den USA. Weil die Rektoren die pädagogischen Köpfe, Moderatoren und Manager vor Ort sind, die eine Schule drehen können. Uns laufen diese Rektoren aber gerade in Scharen davon laufen.

Zweitens brauchen wir eine großangelegte Fortbildungsstrategie für das neue, selbstständige Lernen. (Ich würde sie übrigens die Roman-Herzog-Gedächtnis-Kuschelecke nennen – weil dort im Grunde nur eins gelehrt wird: Wie Lernen Spaß macht!)

Und wir brauchen, drittens, Freiheit für die Schulen. Die KMK sollte einmal etwas Vernünftiges in ihrem Schildkrötenleben machen und einen charter-school-Beschluss fassen. Dann kann jede Schule ihre Mittel verwenden, wie sie mag, die Lehrer einstellen, die sie gut findet – wenn sie die Kinder nur glücklich und klug macht. Der Baumert überprüft das schon. Dann haben wir freie öffentliche Schulen. Und dann ziehen wir in 10 Jahren eine Bilanz – die richtig gut sein wird.

 

PS: Es ist gut, wenn einer wie Hessens Immer-noch Ministerpräsident Roland Koch (CDU) nicht nur beim DKJS-Festakt dabei sitzt, sondern anspruchsvoll im Stiftungsrat mitarbeitet. Wir erinnern uns: Koch keilte wie ein Berserker gegen das Ganztagsschulprogramm, das Gerhard Schörder (SPD) einst aus der Tasche zauberte, um die Wähler zu betören.

Nun arbeitet Koch also mit bei jener Institution, die schon ziemlich viele intelligente Erweiterungen und Interpretationen der Ganztagsschule hervorgebracht hat. Die DKJS ist ein Container voller guter Ideen - ob das reicht, um das ungerechteste Bildungsland der OECD auf Vordermann zu bringen?

pisaversteher.de