14.12.2011
11:03

OER-Plattformen bauen – nicht Trojaner!

 

Lehrerverbände lassen sich von Kultusministern und Schulbuchverlegern hinter die Fichte führen

Willkommen, Herr Lehrer, in der richtigen Politik. Die Lehrerverbände Philologenverband, GEW und VBE haben sich beim Gespräch über den Rahmenvertrag zu § 53 Urheberrechtsgesetz (kurz: Baubeschluss für den „Schultrojaner“) hinter die Fichte führen lassen.

Als das Gespräch (u.a.) mit den Schulbuchverlagen, dem Kultusminister-General Udo Michallik und der VG Wort zuende war, konnte es den Lehrervertretern gar nicht schnell genug gehen zu verkünden, die Trojanergefahr sei gebannt, jetzt beginne die Suche nach Alternativen. Das sollte wohl heißen, so die Botschaft an die Bürger und die Lehrer: Der Trojaner wird gestoppt. Die Programmierung einer Spähsoftware, die Schul- und damit auch Lehrerrechner nach digitalen Kopien filzt, wird beendet.

KMK und Schulbuchverlage bewegen sich keinen Millimeter

Aber, äh, nichts von alledem! Das wäre auch zu schön gewesen. Die Konferenz der Kultusminister (KMK) und die Buchverlage haben sich in Wahrheit keinen Millimeter bewegt. Sie haben einfach das Bestehende zum Neuen umetikettiert.

Man muss nur die Euphorie-Blasen der GEW neben die knochtrockenen Erklärung der KMK legen, dann weiß man, wer Hase und wer Igel ist. Die GEW meint, sie hätte durch ihr Engagement irgendwas verhindert: „2012, so das Ergebnis des heutigen Gesprächs im Sekretariat der Kultusministerkonferenz (KMK), werde keine Schnüffelsoftware eingesetzt.“

Verlage basteln munter an ihrem Schultrojaner

Das ist, mit Verlaub, Quatsch: Die Verlage basteln munter weiter an ihrem Trojaner. Dass er 2012 nicht kommt, hat mit der Komplexität der Aufgabe und verlageinternen Querelen zu tun – aber nichts mit irgendwelchem Lehreraufbegehren. Die „beschriebene 'Scansoftware' wird nach Einschätzung der Vertragspartner bis auf Weiteres, jedenfalls nicht im Jahr 2012, zum Einsatz kommen“ - aber nur, weil sie schlicht noch nicht fertig ist. Die Botschaft der KMK-Erklärung heißt nicht, „wir haben uns getäuscht“, nein, dort steht: „Der Vertrag ist gut! Der Trojaner wird gebaut! (Es daurt nur ein bisschen.) Das Urheberrecht ist wichtig!“

Kein Wort zum intelligenten Lernen mit 2.0-Bausteinen

Das bemerkenswerte an der KMK-Erklärung ist folgendes: Es steht dort mit keinem Wort erwähnt, dass Lehrer intelligenten Unterricht mit digitalen Bits aus dem Netz machen sollen! Die KMK predigt Dienst nach Vorschrift – der Betrieb läuft halt (schlecht) weiter, so heißt die subkutane Mitteilung.

Man muss sich nur beiden Alternativen zum Trohjaner anschauen, um die ganze Blauäuigigkeit der Lehrerverbände zu entlarven: Es heißt bei der GEW, alle Beteiligten arbeiteten an Alternativen. Aha, was sind die Alternativen? Derer gibt es zwei: „open educational resources“, also frei zugängliche Lernmaterialien im Netz – und mehr Geld.

Weiter "best of schoolbook" zusammenkopieren

Das hieße also: Statt des Trojaners wird der kollaborative Markt für „open educational resources“ vorangetrieben. Denn tatsächlich steht die Lehrer2.0-Crowd um @herrlarbig in den Startlöchern, um die CC- und OER-Plattformen mit intelligenten Lernbaustein zu füllen. Und es gibt mehr Geld für Lehrer1.0, um sich weiter seinen Unterricht als ein „best of schoolbook“ zusammenzukopieren.

Allein, diese beiden Aufgaben haben weder die Kultusminister noch, pardon, die hypermoderne GEW auf dem Schirm. Oder gibt es etwa eine Lernen2.0-Abteilung unter den organisierten Lehrern? Oder kennt General Michallik schon jene Abteilungen seiner Minister, die OER denken? Und die andere Alternative, mehr Geld, ist billig zu haben – als Forderung. Die GEW hat im übrigen noch nie etwas anderes gefordert.

Das Lernen der Zukunft, kollaboratives, crowd-basiertes forschendes Lernen, das zugleich sehr individuell ist, steht vor der Tür. Nur: Hinter der Tür steht nicht die GEW, nicht 600.000 Lehrer, und schon gar nicht die KMK. Sondern eine ziemlich intelligente, aber auch ziemlich kleine Gruppe von Twitter-Teachern. Sie warten auf Couragierung und konkrete logistische Hilfe, etwa durch eine Crowd-Source-Plattform, aufgebaut durch die KMK. Aber das Gegenteil ist der Fall: Nicht die OER-Plattform wird gebaut, sondern, mit Verlaub ein trojanisches Pferd, das so hölzern ist wie seine mythologischer Vorfahr. Das ist das durchaus ernüchternde Ergebnis des Gesprächs am 13.12.11.

 

Zu sehen hier, in der Dokumentation: Erklärung der Kulktusminister nach dem Schulbuchgespräch am 13. Dezember 2012:

 

Kultusministerkonferenz: Handlungsfähigkeit der Schulen, Datenschutz und Schutz des geistigen Eigentums oberstes Gebot

In Berlin haben sich heute Vertreterinnen und Vertreter der Länder, der Lehrerverbände und der Rechteinhaber erneut mit dem „Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen gem. § 53 UrhG“ befasst. Die Gesprächspartner sind sich einig, dass mit dem Vertrag grundsätzlich ein Rechtsrahmen geschaffen ist, der die Schulen handlungsfähig macht, Rechtssicherheit schafft und der zugleich die Rechte der Verlage und Autoren schützt.

Der Gesamtvertrag regelt Möglichkeiten von Vervielfältigungen für den Unterrichts- und Prüfungsgebrauch aus urheberrechtlich geschützten Werken. Er schafft eine rechtliche Grundlage dafür, dass Schulen in bestimmtem Umfang auf urheberrechtlich geschützte Inhalte zugreifen und diese ohne bürokratischen Aufwand für die Schule nutzen können. Ohne diesen Vertrag müsste jede Schule im Hinblick auf Unterrichtswerke zunächst bei dem betroffenen Verlag die Erlaubnis zum Kopieren einholen und dann einzeln mit dem Schulbuchverlag abrechnen. Dieses Verfahren beträfe rund 43.000 Schulen, 90 Verlage und 40.000 Verlagsprodukte.

Die in § 6 Absatz 4 des Vertrages beschriebene „Scansoftware“ wird nach Einschätzung der Vertragspartner bis auf Weiteres, jedenfalls nicht im Jahr 2012, zum Einsatz kommen. Die Vertragspartner verabredeten, im ersten Quartal 2012 ein weiteres Gespräch zu führen, um mögliche Alternativen zu diskutieren. Alle Gesprächsteilnehmer waren sich einig, dass das geistige Eigentum zu schützen sei und die Rechte der Verlage und Autoren, vor allem auch der beteiligten Lehrkräfte, gewahrt werden müssen. Die Lehrerverbände werden weiter in die Gespräche einbezogen.

 

03.12.2011
12:07

10 Jahre Pisa: Das Irren und Wirren der Kultusminister

Vor zehn Jahren erschien die erste Pisastudie. Sie zeigte, wo die Bruchstelle des deutschen Schulsystem liegt: Es gibt zu viele Risikoschüler. Aber die Kultusminister haben die Informationen aus Pisa zu allem benutzt – nur nicht zum Steuern. Inzwischen ist in vielen Bereichen das blanke Chaos ausgebrochen: zerplitterte Lehrerbildung, Schulformchaos, Zuständigkeitswirrwar. Die Bürger fliehen aus dem staatlichen Schulsystem

VON CHRISTIAN FÜLLER

(Links zum Originalmanuskript des SPON-Textes vom 2. Dezember Zehn Jahre Wirrwarr und zum Mindmap für das DRadio-Interview mit Peter Kapern)

Pisa war generalstabsmäßig vorbereitet. Am Abend bevor aus Goethe ein Bildungsverlierer wurde, versammelte ein gewisser Andreas Schleicher drei Dutzend Journalisten in Berlin zu einem Seminar in empirischer Bildungsforschung. Zwei Stunden lauschten die Reporter gebannt dem Herrn mit dem rotmelierten Schnäuzer. Sie erschauderten vor den PowerPoint-Seiten, die der Chefstatistiker der OECD an die Wand warf. Die Grafiken und Tabellen waren schön bunt – und zeigten mit mathematischer Präzision den Abstieg einer Kulturnation. Das Leitbild der Deutschen bekam einen neuen Namen: Der Risikoschüler. Kann Texte entziffern, versteht aber nicht, was drin steht.

"Dummkopf!"

Es ist der 3. Dezember 2001. Am Tag darauf stellte die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit, kurz OECD, das erste „Programme for International Students Assessment“ vor, heute als Pisa-Studie nirgendwo auf der Welt besser bekannt als in Deutschland. Ein Vergleichstest der Schulleistungen 15jähriger Schüler aus aller Welt. Die Neuntklässler im Herzen Europas, die Deutschen, sie schnitten miserabel ab, und die Journalisten sollten eine Nacht drüber schlafen können, ehe sie den Schock verbreiteten: 23,8 Prozent der 15jährigen können nicht sinnvoll lesen; der Abstand zwischen den Leistungen der Schulen - nirgendwo größer als in Deutschland. Die Schere zwischen guten und schlechten Schülern – einer Demokratie nicht würdig. „Dummkopf!“, titelte der Economist. #

Für die Deutschen war Pisa fortan nicht mehr eine Stadt in Italien. Sondern eine Studie, die sie ins untere Mittelfeld auf Platz 22 von getesteten 32 Nationen katapultiert hatte. #

Landschildkröte KMK sprintet

Die andere Seite indessen war mindestens so gut vorbereitet wie die OECD und die Journalisten: Die Kultusminister – das sind die in Deutschland für Schule politisch Verantwortlichen – taten, was ihnen niemand zugetraut hätte. Sie, die man bis dahin ungerügt als griechische Landschildkröten verspotten konnte, ergriffen Notmaßnahmen. Sofort. Jedenfalls fällten sie Beschlüsse, noch bevor die Pisa-Nachricht komplett verstanden worden war. Es waren im wesentlichen drei Beschlüsse, die die „Ständige Konferenz der Kultusminister“ fasste:

* Erstens verabschiedeten die Kultusminister sieben so genannte Handlungsfelder von Kindergarten bis Migranten, von Sprachtests bis Unterrichtsqualität

* Zweitens kündigten die 16 Minister an, dass jetzt sehr fix die Lehrerbildung verbessert werden müsse.

* Und drittens verbaten sich die Kultusminister kategorisch, dass irgendjemand über die Schulformen diskutieren dürfe. Die ideologische Debatte über die dreigliedrige Schule habe keinen Sinn, hieß es. Die weltweit einmalige – von Österreich abgesehen – Dreiteilung junger Bürger im Alter von zehn Jahren auf verschieden gute Schulen, sie durfte kein Grund für das verheerend schlechte deutsche Pisaergebnis sein.#

Differenzielle Lernmilieus

Dabei treibt genau die frühe Sortierung der Schüler mit zehn Jahren in gute, mittlere und schlechte Lerngruppen, also in Gymnasium, Realschule und Hauptschule die Leistungen ihrer Insassen nachweislich auseinander. [Baumert, Jürgen (2006): »Schulstruktur und die Entstehung differenzieller Lern- und Entwicklungsmilieus«. In: Herkunftsbedingte Disparitäten im Bildungswesen Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 95–180)] #

Die Nation akzeptierte die Lektion. Die Schulformen blieben tabu. Noch heute müssen Teilnehmer von Polit-Talkshows im Abendprogramm damit rechnen, dass man sie auffordert: Diskutieren sie, bitte, nicht über die Schulformen! #

Niederschmetternde Sprachtests

Was war mit den anderen Beschlüssen? Die sieben Handlungsfelder erinnert heute kaum noch jemand. Sie betrafen zwar irgendwie die richtigen Punkte. Kindertagesstätten etwa sollten zu Bildungseinrichtungen werden, Migranten besser im Sprachenlernen gefördert werden und so weiter. Allein, das Steuerungswissen, das Pisa angeblich geliefert hatte, es wurde von den 16 Kultusministern immer je anders interpretiert.

Die Sprachtests zum Beispiel hießen in jedem Bundesland anders, Bärenstark, Delfin oder Deutsch+ und sie untersuchten jeweils andere Altersstufen von Kindern. Nur zwei Dinge waren gleich: Diese Ergebnisse Sprachstandserhebungen waren so niederschmetternd, dass die bereitgestellten Millionenbeträge für die frühe Sprachförderung nie ausreichten. Die Minister passten die Lerngelegenheiten also sofort den bereitgestellten Budgets angepasst. Das bedeutet: Nur ein Bruchteil der Sprachlosen bekam effizientes Sprachtraining. #

Chaos Lehrerbildung

Ähnlich verlief es mit der Lehrerbildung. Nach der Studie setzten die Schulminister auf eine erneurte Lehrerbildung. „Dann haben wir ja schon in 30 Jahren bessere Pisaergebnisse“, frotzelte Schleicher. Die Kultusminister rächten sich an dem in Hamburg geborenen Chef der Pisaabteilung der OECD in Paris. Die Minister der deutschen Provinzen erklärten den weltweit geachteten Mister Pisa zur persona non grata – Schleicher durfte eine zeitlang die Pisastudien in seinem Heimatland nicht mehr vorstellen. #

Freilich zeigt sich auf dem Gebiet der Lehrerbildung die ganze Indolenz der Kultusminister: Bis zum Jahr 2020 werden über 400.000 der heute 700.000 LehrerInnen nicht mehr da sein. Genug neue Lehrer aber kann die KMK dank ihrer chaotischen Lehrerbildung gar nicht produzieren. Kein Unternehmen könnte es sich leisten, mehr als die Hölfte seiner Arbeitskraft in den Ruhestand zu schicken ohne neue Leute nachzuziehen – die Kultusminister schaffen das. #

Union zweifelt am Föderalismus

Schleicher ist inzwischen rehabilitiert. Nicht etwa bei den Kultusministern, aber überall im Land. Alle seine Vorhersagen trafen ein: Die Lehrerbildung ist zehn Jahre nach Pisa so wirr, dass selbst Unions-Bildungsexperten sie auf Podien als chaotisch bezeichnen. Und, kaum zu glauben, den Föderalismus infrage zu stellen bereit sind. #

Die Pisaergebnisse haben sich zwar verbessert – aber nur in einzelnen Bundesländern und meistens in der Leistungsspitze. Da, wo das eigentliche Problem für eine demokratische Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sitzt, in den Haupt- und Ghettoschulen, wo sich in den Klassen bis zu 90 Prozent Risikoschüler konzentrieren, geht es nur zäh voran, sehr zäh. #

Nur das Bürgertum begreift die Pisa-Lektion

Das Bürgertum, so lässt es sich zusammen fassen, hat seine Lektion aus Pisa gelernt: Es investiert Milliarden in Nachhilfe, es überwacht mehr oder weniger hysterisch den Unterrichtsbetrieb an Regelschulen – und notfalls flieht es das staatliche Schulchaos einfach. Es gibt nicht den großen Run auf Privatschulen, wie immer verkündet wird. Allerdings zeigen Meinungsbefragungen, dass die Bereitschaft der Deutschen, ihre Kinder auf freie, konfessionelle, demokratische, das heißt auf private Schulen zu bringen, sich dramatisch ausgeweitet hat. Heute denken sogar Eltern mit Hauptschulabschluss darüber nach, Privatschulen zu besuchen. Vor zehn Jahren war dies dem gehobenen Bürgertum vorbehalten. #

Im Land hat eine Art fröhlichen Fatalismus' Einzug gehalten. Jede Pisafolgestudie bringt stets die gleichen Ergebnisse: Prägendes Merkmal der deutschen Schule ist erstens, dass sie wenig leistungsfähig ist – also zu viele Risikoschüler produziert. Heute sind es deutschlandweit immer noch 20,9 Prozent. Und das sie zweitens ungerecht ist: Weil sie – bei gleicher Intelligenz und Sprachvermögen – den Kindern gebildeter und reicher Eltern durchgehend bessere Chancen einräumt, zu deutsch: Sie auf Gymnasien empfiehlt. #

Ist das zersplitterte und komplizierte Schulsystem seit Pisa einfacher geworden? Kann man zehn Jahre nach Pisa in Deutschland umziehen, ohne sich Sorgen zu machen, was die Leistungen der Schüler anlangt oder die Ähnlichkeit der Schulformen? Zweimal heißt die Antwort: Nein. Das Tabu der Debatte über Schulformen gilt im Grunde nur noch für Talkshow

12 neue Sekundarschulen!

Unterderhand haben 16 Bundesländer außer Hessen und Bayern begonnen, die zersplitterten Schularten auf zwei Formen zu vereinfachen. Freilich hat der systemimmanente Chaosfaktor der Kultusministerkonferenz zum Gegenteil geführt. Nun regiert die neue Unübersichtlichkeit: Gab es bislang vier weiterführende Schulformen, so sind es heute ein Dutzend, sie heißen Gesamtschule, Gemeinschaftsschule, Sekundarschule, Regionalschule, Stadtteilschule, Oberschule, Mittelschule, Regelschule, Realschule-plus, Werkrealschule, Hauptschule oder Gymnasium.#

Lässt sich mit anything goes die Schulkrise überwinden? Wahrscheinlich nicht. Denn das eigentliche Problem besteht ja darin, dass sich das deutsche Bildungsschiff als steuerungslos erwiesen hat. Auf der Brücke der Titanic stehen 16 Kapitäne und wollen alle irgendwie in eine andere Richtung. Derweil spitzt sich die demografisch wie ökonomisch die Lage zu. Deutschlands Schulen sterben aus, in den großen Flächenländern stehen Tausende Schulen, meistens sind es Hauptschulen, vor dem Aus – weil es schlicht nicht mehr genug Schüler gibt. #

Die Wirtschaft leidet

Am meisten leidet die Wirtschaft. Sie, die jahrelang die Kultusminister vor sich hinwursteln ließ, steht heute vor einem nie gekannten Fachkräftemangel. Nicht mehr nur Ingenieure oder Ärzte fehlen, inzwischen gehen sogar die Auszubildenden aus. Selbst der Dauerpisasieger Bayern produziert zu viele Risikoschüler, um den Nachwuchsmnagel des eigenen Mittelstandes befriedigen zu können. Im bayerischen Deggendorf zum Beispiel, wo 700 offene Lehrstellen einem Heer von Hauptschulabsolventen gegenüberstehen, hat CSU-Landrat Christian Bernreiter daher selbst das Heft in die Hand genommen: Er importiert Azubis – aus der bulgarischen Partnerstadt Deggendorfs. „Wir müssen jetzt aktiv werden. Von allein passiert gar nichts“, sagte er. #

Bürgermeister basteln Schulen für alle

Das ist der Offenbarungseid der Kultusminister. Weil es nicht schaffen, Bildungsarmut zu bekämpfen, basteln sich nun überall im Land Bürgermeister, Landräte und Schulleiter eigene Lösungen. Darin liegt aber zugleich die Chance er zweiten Postpisadekade. Während sich die Kultusminister über die Richtung streiten, nehmen sich Schulen die unerwarteten Freiräume.

Egal ob Nord oder Süd, West oder Ost, die Prinzipien der neuen Schulen sind fast immer die gleichen – es sind die Pisalektionen: Die Schule braucht eine andere Lernkultur. Und: Kein Kind soll zurück bleiben.

In Jesteburg (Niedersachsen) zum Beispiel gibt es eine Inititiative, die eine Schule fordert, die auch das Abitur anbietet, aber kein Gymnasium ist. Eine Art Gesamtschule also. Die lokalen Akteure für die Schule sind der Bürgermeister, die Schulleiterin und ein Grünen-SPD-CDU-Trio der örtlichen Zivilgesellschaft. Der Kultusminister Niedersachsens tritt dort nur in einer Rolle auf den Plan: als Verhinderer. Bernd Althusmann hat die Schule mit der Begründung erst nicht genehmigt, weil sie den falschen Namen hatte: Gesamtschule. Nur als Oberschule mit Haupt- und Realschulzweig hat er sie inzwischen zugelassen. #

Das Abitur ist die treibende Kraft für Schulreformen von unten. Genauer sind es Schulen, die [kursiv] auch [kursiv]das Abitur anbieten. So ist es, wenn in Bayern die Rebellengemeinden Denkendorf und Kipfenberg eine „Schule für alle“ fordern – weil sonst die Schule aus ihrem Ort verschwindet. Oder wenn in Berlin Europas größter Pizzahersteller Freiberger eine Gemeinschaftsschule mit Abiturmöglichkeit propagiert – explizit gegen die örtliche CDU. „Wir brauchen sehr viele verschiedene Qualifikationen, vom Ingenieur bis zum einfach Arbeiter, das kann die Gemeinschaftsschule anbieten – also unterstützen wir diese Schule“, sagt der Chef von Freiberger, Helmut Morent. Er steht der CSU nahe – aber er forderte die Reinickendorfer vor der Wahl dazu auf, in dem Berliner Bezirk nicht CDU zu wählen, weil diese Partei gute Schule aus ideologischen Gründen verhindert. #

Das ist das neue Selbstbewusstsein nach Pisa. Wenn die oben nicht mehr können, dann machen die da unten ihre Schule eben selber.

Sie brauchen dazu kein Steuerungswissen. #

Christian Füller, 47, schreibt über gute Schulen in einem schlechten Bildungssystem. Zuletzt: Die Gute Schule. Beltz 2010. Er bloggt als pisaversteher.de

30.11.2011
10:46

Lernen2.0 - mehr ist weniger Demokratie

donnerstag findet im kölner betahaus ein speedlab2.0 statt. begleitet von dradio wissen.  

eine der olympischen fragen, die dort gestellt wird, lautet: wird lernen2.0 die demokratie höher, schneller, weiter machen?

während ich auf meinem werkstatt-blog ciffis mobiles bureau noch halbwegs optimistische thesen verkünde, muss ich als pisaversteher nach den erlebnissen und debatten der letzten tage skeptischer werden: meines erachtens besteht eine nicht geringe gefahr, 

- dass web2.0 zunächst einmal die digtale spaltung der gesellschaft erheblich vertieft

- dazu trägt vor allem auch die twitter-blogger-insider-community bei, weil sie sich exlusiv bis arrogant gibt, weil sie fundamentale pädagogische prinzipien nicht beachtet - und weil sie praktisch unkritisierbar ist

- auf mittlere sicht kann es sogar zu einer re-analphabetisierung bestimmter teile der gesellschaft kommen. 

Woran liegt das?

niemand kann bestreiten, welch ungeheures emanzipatives potenzial in den individuell-kollaborativen tools des web2.0 steckt. eigentlich. morgen. wenn, endlich, alle begreifen!

nur: die 2.0szene schottet sich in einem spanische-dörfer-kauderwelsch von der öffentlichkeit ab (siehe z.b. die gute, aber teflonisierte lindnersche sieben-sigel-liste) verstehen kann man das nur, wenn man ein steve jobs-abo hat und seine sozialen kontakte bei facebook und twitter verwaltet.

auch das #speedlab2 wird von den superdupertwitterblogos @cervus bis @440_hz bestallt. manche von ihnen geben als berufsbezeichnung visionär an. oder bildungsberater. oder bildungsaktivist. oder gleich: blogger. (wo ist eigentlich das personalbüro und die lohnbuchhaltung im netz?)

wer sich freilich wagt, schüchtern einwände gegen den akronymisierten elite-sprech der bloggosphere vorzubringen, wird sofort auf die gutenberg-müllhalde der ewiggestrigen verbannt.

was die elektro-szene aber nicht versteht - und vor allem den pädagogen unter ihnen muss man das hart ankreiden -: es gibt nicht nur reaktionäre internetausdrucker und volltrottel im ministeramt, die fragen: "wann ist das internet voll?"

es gibt schülerInnen einer extrem heterogenen provinienz, die auf eine basale alphabetisierung dringend angewiesen sind. die grauenhaften pisaergebnisse lehren uns, dass teilhabe heute in familie, kindergarten und grundschule entsteht - oder gar nicht.

die elementare kulturtechnik dafür ist freilich nicht das 64GB iPad, sondern der schreiblernFÜLLER und ein weicher bleistift. solcherlei schreibwerkzeuge freilich erwähnen meine futuristischen freunde nicht, ohne beiläufig zu boden zu spucken: bäh, gutenberg! 

bildschirme haben, das ist eine der - unsagbaren, verbotenen, tabuisierten - thesen, bei kleinkindern und in kindergärten NICHTS verloren. iPad meets kleinkind = desaster. (siehe z.B gelernter in der faz)

jedenfalls habe ich noch kein einziges vernünftiges argument gehört, wie man mit bildschirmen funktionale analphabeten risikominimiert - außer durch ballerei-sedierung.

ich werde das morgen sagen.

stellt die spucknäpfe bereit.

mehr demokratie2.0 ist, sorry, weniger demokratie: abstrakter, fluider, unverbindlicher - ohne anerkennung und selbstwirksamkeit. holy shit2.0.

04.09.2011
09:48

Doofe Deutsche Schulreformen

Nur die UN und die Wirklichkeit schaffen Schulreformen

Gott, war das peinlich! Ein französische Journalistin wollte von mir wissen, ob die deutsche Schulreformen seit dem Pisaschock eigentlich zielgerichtet waren. Und als ich das alles zu erklären versuchte, musste ich mich richtig schämen: Wie blöd kann ein Land eigentlich sein, seinen Kindern eine so ungerechte und schlechte Schule zuzumuten - und sich gleichzeitig weigern, es einfach besser zu machen.

Peinlichkeiten und Wirklichkeitsverweigerungen

Deutsche Schulreformen seit Pisa 2000 sind eine Aneinanderreihung von Peinlichkeiten und Wirklichkeitsverweigerungen. Inzwischen hat sich die Wirklichkeit zwar so einigermaßen durchgesetzt - die hirntote und schülerpeinigende Hauptschule bekommt selbst von der CDU keine Infusionen mehr. Man könnte es so abkürzen: In Deutschland schaffen nur der Zwang der Vereinten Nationen und der Druck der Wirklichkeit Schulreformen. Freiwillig machen die KuMIs (Kultusminister) nichts. 

(Aber, das wird lustig, zum Abschied sagt die CDU nicht etwa leise "Servus Hauptschule!", sondern sie rächt sich bitter an Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU): Sie wird - das ist meine Prognose - zurücktreten müssen. Weil sie der CDU ihre Ideologie austreiben wollte.)

Hier nun ein paar Zitate, die zeigen, wie bekloppt deutsche Schulreformen sind.

(Liebe Lehrer, ich freue mich sehr auf Eure Beiträge! Schreibt ruhig auf, dass ihr Euch total Mühe gebt und die Hauptschule doch irgendwie ganz doll ist. Aber bedenket: Ich spreche zunächst vom Schulsystem und nicht direkt von Euch. Ihr könnt eigentlich nichts dafür, ihr seid nur die Funktionäre eines ungerechten, ungesunden und ineffizienten Schulsystems.)

Großes Reformgewurstel

"In Deutschland gab es zahllose Schulreformen seit dem Pisaschock im Jahre 2001. Es war wie ein großes Reformgewurstel, aber kein zielgerichtetes Verbessern der entscheidenden Schwäche: Bekämpfung der Bildungsarmut und Ungerechtigkeit des deutschen Schulwesens.“1

3 Beispiele: Schulformen, Ganztagsschulen und G8

Schulformen

Hintergrund: Die Kultusminister behaupten seit 2001, die Schulstruktur habe mit der Ungerechtigkeit des Schulsystems nichts zu tun. Das ist natürlich blanker Unsinn, wie man an der Zusammensetzung der Hauptschulen leicht erkennen kann. Dort ballen sich – was statistisch vielfach belegt ist - die Risikoschüler. Das ist ja auch Idee und Ziel der deutschen Schule, die mit 10 Jahren die Kinder in gute und schlechte einteilt und auf die Schulformen nach LEISTUNG verteilt. Das dreigliedrige Schulsystem ist in Wahrheit sogar in vier Formen gespaltet – in Sonder-, Haupt- und Realschule sowie Gymnasium.

"Inzwischen schaffen nahezu alle Bundesländer die hoffnungslosen Hauptschulen ab. Und fusionieren sie mit den Realschulen. Aber das ist keine gezielte Reform, sondern ein unkoordinierter Rückzug von einer unhaltbaren ideologischen Position. Die soziale Wirklichkeit setzt sich durch.“

(Nur Hessen besteht weiter auf Hauptschulen, Bayern benennt sie lediglich in Mittelschulen um. Als erstes Bundesland führte Schleswig-Holstein 2007 Gemeinschaftsschulen ein. Die östlichen Bundesländer hatten bereits in den 1990er reformiert. Die vorerst letzten Bundesländer, die die Hauptschulen abschaffen, sind Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Liebe Lehrer, bitte jetzt beschweren, dass die Sache in NRW viel viel komplizierter ist.)

Babylonisches Namenschaos

„Das Ergebnis ist ein babylonisches Namenschaos bei den Schulen: Die Nachfolger der Hauptschulen heißen – Oberschule, Regelschule, Sekundarschule, Mittelschule, Realschule plus oder Regionalschulen. Die integrierten Formen mit Abitur heißen Gesamtschulen oder Gemeinschaftsschulen.“

„Alle Pisaforscher empfahlen, den Dschungel von Schulformen zu lichten und neben dem Gymnasium nur noch eine integrierte Schulform mit Abitur zu belassen. Die Kultusminister lehnten das jahrelang aus ideologischen Gründen ab.“

„Deutschland ist - bildungspolitisch gesehen - ein Schurkenstaat. Die Sonderschulen müssen aufgelöst werden – auf Befehl der Vereinten Nationen, die das Aussortieren von Behinderten aus dem allgemeinen Schulwesen als menschenrechtswidrig eingestuft haben. Aber die Länder wehren sich dagegen.“Ganztagsschule

Ganztagsschule

Die Ganztagsschule war die einzige koordinierte Reform, kein Wunder, der Bund finanzierte sie damals mit der teuersten Schulreform aller Zeiten: Rot-Grün stellte im Jahre 2002 ingesamt 4 Milliarden Euro für den Umbau von Halbtags- zu Ganztagsschulen zur Verfügung. Aber die Bundesländer fühlten sich durch die Initiative in ihrer so genannten Kulturhoheit der Länder verletzt.“

[Bildung ist Aufgabe der Länder; die Kultusministerkonferenz ist älter als das deutsche Grundgesetz.]

Ohne Verfassungsänderung keine Schulinvestition

„Die Umsetzung der Reform war typisch deutsch: Die konservativen Ministerpräsidenten nahmen das Geld für die Baumaßnahmen zwar zähneknirschend an. Aber sie stellten so gut wie kein zusätzliches Personal zur Verfügung. Und ließen danach sofort die Verfassung ändern: Seitdem (2006) gibt es in Deutschland ein Kooperationverbot zwischen dem Bund und Ländern. Das heißt: Der Bund darf sich in die Schulangelegenheiten der Länder grundsätzlich nicht mehr einmischen.“

„Das ist vollkommen absurd! Während der Finanzkrise wurden sofort viele Milliarden Euro für die Verschrottung von alten Autos ausgegeben. Aber für ein Konjunkturprogramm in den Schulen (Computer, Umbau etc.) musste die Verfassung erst geändert werden – weil dem Bund Finanzspritzen in die Schulen verboten waren!“

Ganztagsschule

Die Verkürzung der Gymnasien von neun auf acht Jahre hat mit Pisa nichts zu tun. Diese Idee kam vorher auf, weil deutsche Abiturienten im Vergleich zu anderen ein bis zwei Jahre älter sind.

„Die G8-Reform ist ein Musterbeispiel für die blockierte Kultusministerkonferenz. Die Schulminister einigten sich auf die Verkürzung der Schulzeit um ein Jahr. Aber eine Reduzierung der Inhalte blieb in den wirren Gremien stecken. Das heißt: Die Schüler müssen nun in acht Jahren praktisch den selben Stoff lernen wie vorher in neun Jahren. Die Proteste dagegen flammten aber erst auf, als die Eltern und Schüler merkten, dass sie nun viel mehr büffeln müssen – und praktisch keine Freizeit mehr haben. Da war die G8-Reform aber längst beschlossen.“

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Fußnote

1Bildungsarmut: Bei Pisa 2000 – veröffentlicht 2001 – wurden fast 25 Prozent Risikoschüler und funktionale Analphabten gemessen; 2009 sind es immer noch 20 Prozent. In den Hauptschulen konzentrieren sich teilweise 60 bis 90 Prozent der Risikoschüler; bei der Kompetenz Lesen produzieren ALLE BUNDESLÄNDER mehr Risikoschüler (schlechte Schüler) als Spitzenschüler – Sachsen 11,9 % (Risikosch.) zu 10,3 % bis Hamburg 27,8 zu 9,6 % (siehe Anhang Prenzel, Folie 8)

Ungerechtigkeit: Kinder von Akadmikern haben eine sechs Mal so große Chance, aufs Gymnasium zu kommen als Kinder von Arbeitern – BEI GLEICHER INTELLIGENZ UND GLEICHEN FÄHIGKEITEN. Von 100 Beamtenkindern landen 82 auf der Hochschule, von 100 Arbeiterkindern 23

30.08.2011
08:17

Individuell und/oder gemeinsam

Anmerkungen einer Lehrerin

Offner Unterricht und individualisiertes Lernen – eine Klarstellung

Der „Offene Unterricht“ verspricht, Kindern die Möglichkeit zu geben, intensiver, effektiver und lustvoller zu lernen als im „geschlossenen Unterricht“.

Die Begeisterung aller Kinder für eigene Lernanstrengungen und die Fähigkeiten, die man dafür braucht, sind nicht die Voraussetzung, sondern das Ziel meines Unterrichts.

Ich wünsche mir und arbeite dafür, dass alle Kinder möglichst bald Zugang dazu finden und sie aus meinem Unterricht unverlierbar mitnehmen können.

Auf keinen Fall darf ich diese Anstrengungsbereitschaft - am Anfang der Schulzeit bzw. wenn ich eine Klasse übernehme - bei allen Kindern voraussetzen.

Verwöhnten, verwahrlosten und von der Schule schon enttäuschten Kindern fehlen die dafür nötigen Erfahrungen, Verhaltensweisen und emotionalen Möglichkeiten.

Es ist die große Chance des Lernens im Zusammenhang einer stabilen Klasse, dass die Folgen von Verwöhnung, Verwahrlosung und Enttäuschung im Miteinanderlernen leichter überwunden werden können als im Nebeneinanderlernen eines individualisierten Unterrichts, der die Unterschiede zwischen den Kindern auch in diesem Aspekt eher vertieft als vermindert.

Soziale Komponenten des Lernens ermöglichen und bereichern sowohl das Miteinanderlernen als auch das individuelle Lernen. Durch praktische Erfahrung damit lernt man erst, sie zu schätzen und dann auch aus eigenem Antrieb zu suchen und zu nutzen. Es ist meine Aufgabe, für solche Erfahrungen zu sorgen und sie nicht dem Zufall und dem guten Willen der Lernenden zu überlassen.

Das alles ist nur möglich, wenn ich als Lehrerin einerseits für ein gerechtes Miteinanderleben und -lernen sorge und andererseits jedem Einzelnen helfe, in diesem Miteinander Achtung und Zugehörigkeit zu erfahren und sowohl die Aufgaben für alle und die besonderen Aufgaben für sich – seien sie verordnet oder selbst gewählt - als verbindlich und lohnend zu erfahren.

Jenseits und auf der Basis dieses von mir als der Erwachsenen und Lehrerin verantworteten Miteinanders wünsche ich mir unverplante Zeit, in der besondere Bedürfnisse, Stärken, Interessen und Wünsche der Kinder zur Geltung kommen können, die den Rahmen der Schule, das kultivierte Miteinander in der Klasse und immer wieder auch meine anpassungsbereite Begleitung und Unterstützung und brauchen.

Das ist sozusagen die Hohe Schule, in der alle Beteiligten wissen und beherzigen, dass Freiheit und Verantwortung Zwillinge sind und sich selbst schulalltäglich als gefordert, gestützt und bereichert erleben.

Diese Hohe Schule wird niemals möglich sein, wenn ich die darin nötigen Haltungen und Bereitschaften bei allen Kindern voraussetze oder als Ergebnis von Entwicklung einfach abwarte. Das zu tun ist nur scheinbar kinderfreundlich.

Es ist aber bequem für LehrerInnen.

Und es ist attraktiv für diejenigen Eltern, deren Kinder so tüchtig, selbstbewusst und gut betreut sind, dass sie im individualisierten, eigensüchtigen Lernen an der Spitze der Konkurrenz stehen werden.

Durch die einseitig positive Propagierung, ja: Verklärung des „Offenen Unterrichts“ und „individualisierten Lernens“ erhalten die Eltern privilegierter Kinder und bequeme und verantwortungsscheue Schulen/LehrerInnen ein attraktive Rechtfertigung für ihr Verhalten und ihre Entscheidungen. Sie dürfen meinen, sie seien – im Unterschied zu den Anderen – auf dem richtigen Weg.

Viele LehrerInnen erschöpfen sich und/oder scheitern im Rahmen dieses Konzepts (OU & IL), lasten sich das als eigenes Versagen an, resignieren gegenüber der Überlastung und Vergeblichkeit und/oder der minderen Qualität der ihnen zugewiesenen Menschen und Mittel.

Bringt man Bedenken gegenüber diesem Konzept vor, wird man von den Verfechtern des OU & IL als VertreterIn des bösen Frontalunterrichts, der pädagogischen Rückständigkeit, des eklen Misstrauens gegenüber all den wunderbaren Kindern und der didaktischen Hinterwäldlerei verdächtigt.

 

Die Verfechter von OU & IL haben in der eigenen Wahrnehmung auf jeden Fall längst schon Recht und müssen nichts mehr lernen. Ihr Konzept von Schule ist ausgereifte Ideologie, die nur noch totale Umsetzung und Verklärung braucht, damit alle glücklich werden.

Diese Ideologie zur Verbesserung der Schule strategisch einzusetzen ist gefährlich.

Sie ist so sehr in Polarisierung zu ihren Gunsten erstarrt, dass sie spaltet, statt zu lockern und zu lösen, und Feindschaft sät, statt zu versöhnen.

pisaversteher.de