07.05.2011
14:29

Eltern vertuschen noch heute - und die Schule hilft dabei

Oso - Dauergefahr, Dauerschweigen

Am Sonntag sehen wir beim Dok.Fest in München alle Christoph Röhls Doku-Film "Und wir sind nicht die einzigen" über den sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule. Es gibt inwzischen gefühlte 10.000 Artikel darüber, mein Buch "Sündenfall", bald weitere Bücher, und doch bin ich überzeugt, dass dieser Film die Öffentlichkeit treffen wird wie kein anderes mediales Stück zuvor.

Ungefiltert

Was macht den Unterschied? Es sind die faszinierenden Menschen, die mit einem unerwarteten Mut Dinge erzählen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Das ist es, was alle Berichterstatter von Jörg Schindler (FR) über Volker Zastrow (FAZ) bis zu Tanjev Schultz (SZ), der morgen moderieren wir, mitgerissen und tief bewegt hat. Zu sehen, welches Verbrechen die Odenwaldschule an Menschen zugelassen hat, die so famos, so mutig, so klug, so traurig sind. Jetzt aber sind es nicht mehr nur die Berichterstatter, die sehen, es sind alle, die nun ungefiltert ohne dazwischengeschaltete Reporter erleben dürfen, wie die Betroffenen die Szenen damals erlebt haben.

Skrupellose Eltern

Ich denke, dieser Film wird die letzten Mauern des Schweigens einreißen, und das ist leider auch nötig. Wer die peinliche und skrupellose Debatte unter Eltern heutiger Odenwaldschüler verfolgt, der muss sich freuen, dass nun definitiv Schluss sein wird mit Leugnen, Schweigen und Vertuschen. Die Eltern haben dieser Tage nochmals darüber sinniert, ob sie den Film ankündigen oder skandalisieren sollen. Und einige haben sofort wieder damit angefangen: Die Werbung für Röhls Film sei unfair, sie klage an, sie überzeichne und proviziere.

"Warum sollten wir Eltern denn für diese Veranstaltungen werben... die ja auch wieder viel Polemik enthalten", fragt eine Mutter. 

Man reibt sich die Augen: Ein absolut neutraler Text ist es, mit dem Christoph seinen Film ankündigt. Und man fragt sich: Wes Geistes Kind müssen Eltern sein, die fortgesetzt die Opfer denunzieren, die Verbrechen Gerold Beckers und seiner Komplizen decken und entschuldigen? Und: die Verantwortung der Odenwaldschule heute vom Tisch wischen wollen? Ich habe mir erlaubt, eine Elternvertreterin anzurufen und zu fragen, wo das Problem der Einladung sei. Und es war wie im ganzen letzten Jahr meiner Rechereche: Man wird beschimpft, man muss sich Dummheiten und freche Ausflüchte anhören. Und man fragt sich, nachdme man aufgelegt hat: Wer ist hier eigentlich der Täter, Gerold Becker und seine Adepten - oder der Reporter?

Ich finde diese Eltern verantwortungslos. Ich habe bislang nichts gehört von aktiven Eltern, die die erste Frage gestellt haben, die man nach Aufdeckung an der OSO hätten stellen müssen: Was bedeutet das für die Odenwaldschule heute, was für mein Kind?

  • Wer diese Frage nicht stellt;
  • wer nicht wissen will, wie eine Gruppe von Päderasten die Superschule im Hambachtal erobern konnte;
  • wie Pädosexuelle 9- bis 11jährige Jungen für sexuellen Dienstleistungen geradezu abrichten;
  • welches Geflecht an Gewalt und Lüge an einer Schule errrichtet werden muss, um dies alles möglich zu machen;
  • wer dies alles nicht tut, hat kein Recht am demokratischen Diskurs über gute Schule teil zu haben.

Die Schule spielt mit

Die Schule spielt das ekelhafte Spiel übrigens mit. Kommendes Wochenende will die Oso im Steigenberger Schüler akquirieren. Das sei ihr unbenommen. Die Art des Vorgehens ist absolut grotesk: Die Oso dreht die Tatsachen um - und erklärt sich frech zur Vorbildschule für die Aufklärung sexueller Gewalt: Daei gibt es innerhalb der Schule so gut wie keine Bereitschaft, sich mit den strukturellen Ursachen der päderastischen Überwältigung auseinanderzusetzen.

Im O-Ton der Schule sieht es so aus: 

"2010 waren die Ausmaße von Missbrauchsfällen in der Vergangenheit der Odenwaldschule bekannt geworden und hatten große Erschütterung ausgelöst. Die Odenwaldschule ist offensiv wie keine andere von Missbrauch betroffene Institution mit den Erkenntnissen umgegangen und  hat sich neu aufgestellt. Die Teilnahme der Odenwaldschule in einer Arbeitsgruppe des von der Bundesregierung eingerichteten Runden Tisches gegen Kindesmissbrauch ist ein Schritt in Richtung auf ihr Ziel, beispielhaft für die Stärkung von Jugendlichen und die Prävention von Missbrauch zu werden."

Die Wahrheit ist diese: An der Schule arbeiten noch heute Komplizen, Mitwisser und Profiteure des Missbrauchssystem. Ihr Taktik ist die von Hentig: Aussitzen! Abwarten, dann weiter machen. 

12.04.2011
03:26

Die Erde ist eine Scheibe!

Auf den Post (Lehrer sind undemokratisch, siehe unten) gibt es nun weitere Reaktionen. Man kann sie gruppieren. Ein Teil der Leute ist total gefangen in ihrer Denk- und Lebensweise und überliest dabei auch Sätze wie diesen (erscheint 2x in meinem Beitrag):

  • „Auch wenn man das [gegliederte Schulsystem] nicht von heute auf morgen ändern kann, ...“

Zum Mitschreiben für diese Gruppe: Die gegliederte Schule ist ganz nüchtern und grundsätzlich betrachtet undemokratisch – und zwar wegen ihrer stratfizierenden Effekte (die übrigens vielfach wissenschaftich nachgewiesen sind @schwarzmüller und absolut fundiert sind; niemand vernünftiges kann sie abstreiten.)

Dennoch habe ich NICHT gefordert, mit der Planierraupe durch das Schulsystem zu pflügen und alle Gymnasien abzureißen. Das kann sich kein Politiker erlauben, und es ist aus Sicht einer Schulentwicklung auch nicht sinnvoll, leidlich funktionierende Gymnasien abzureißen.

Den Lehrern ihre Melodie vorsingen

Wieso schreibt man einen solchen Blogpost dann? Nun, um der Lehrerschaft mal ihre Melodie vorzusingen – und das klappt auch super. Das ist das Personal in seiner Denkhaltung, mit dem wir Schulen reformieren sollen. Uff.

Gruppe 2 ist durch und durch bewusstlos. Es sind Lehrer, die in einem Zustand leben, den man psychologisch schwer beschreiben kann.

Lehrer leben in einem System, das ganz ohne Zweifel auslesende, spaltende und diskriminierende Tendenzen hat – aber diese Lehrer verleugnen das, sie blenden das vollkommen aus und wursteln einfach weiter. Wenn man ihnen dann die Bilanz aufmacht, schlagen sie plötzlich um sich - und beginnen den Analysten für den Zustand zu beschimpfen, IN DEM SIE SICH BEFINDEN: in etwa schwarzmüller.

Schwarzmüller versucht sich allen ernstes an einer wissenschaftlichen Debatte. Weia. Ich empfehle ganz viel Lektüre, am wichtigsten etwa Baumert grandiosen (aber nicht ganz kleicht zu lesenden) Aufsatz von den differenziellen Lernmilieus. Darin werden die unteren Schulen nurmehr Marienthalschulen genannt, und zwar wegen ihrer extrem demotivierenden Wirkung auf Schüler.

Knallharte Ideologen: KMK-Gesamtschule

Im übrigen ist Schwarzmüller ein knallharter Ideologe. Eine Millisekunde historischer Analyse würde ihm zeigen, dass die Gesamtschule das Aka-Püppchen der Kultusminister ist, um „eine Schule für alle“ kaputt zu machen. Die Gesamtschule war nie eine solche, das weiß er natürlich ganz genau. Sondern sie war immer nur eine Pseudogesamtschule, eine KMK-Variante, die im Grunde das dreigliedrige Schulwesen nur nachäffen durfte.

Selbst eine integrierte Gesamtschule muss ja ab der siebten Klassse ihre Schüler nach Leistung teilen. Und Tausende Lehrer machen das doch auch mit, das muss man doch sagen dürfen, sie sagen es ja auch selber (meistens beim Bier, um die bittere Realität ihrer Existenz zu betäuben).

Wie soll sie denn eine selektierende Gesamtschule bitte integrative Effekte erzielen? Schwarzmüller, tell me! Sorry, aber ein denkender Lehrer, der einem die herrschende Gesamtschule als Knochen hinwirft, auf dem man rumkauen soll, come on, das ist ein Abgesandter des Phililogenverbandes, der einen hinter die Fichte führen will. Mein Tipp: Früher aufstehen!

Eine Conclusio?

Für die Praxis: Nun ja, es gibt – neben der UNDURCHFÜHRBAREN (sic!) bulldozer-Methode - eine Reihe evolutiver Methoden, um die Schule zu reformieren. Diese Tendenz gibt es übrigens überall im Lande, nur scheinen die Hauptbeteiligten, die Lehrer es noch nicht bemerkt zu haben.

(Was geschieht gerade mit den Hauptschulen? Genau. Werden auch Gymnasien, diese Horte pädagogischer Armut, behutsam aber bestimmt verändert? Na also. Wachsen die Spitzen einer zweigliedrigen Schule bei geeigneten Leitplanken zusammen, ohne aber zu verschmelzen. Gut beobachtet.)

Für die Theorie: Um einmal auf eine gemeinsame politisch-intellektuelle Basis zu kommen, war der Post schwierig. Das war abzusehen, dass es aber derart desaströs ausfallen würde? Nun, es ist wie es ist.

Es ist als ob man mit Physikern und Geologen fachlich diskutieren wollte und sie fielen über einen her, nur weil man zu Beginn der Diskussion eher beiläufig erwähnte, dass die Erde eine Kugel sei. Daraufhin schreien die Geologen herum, und sagen Quatsch, was reden sie für einen Unsinn, die Erde ist eine Scheibe!

Und an diesem Punkt müsste man nun stundenlang diskutieren – aber, mal ehrlich, wer will das schon? Mit Leuten disputieren, die einem die ganze Zeit ein X für ein U weismachen wollen?

Die Schule ist demokratisch!

Also Leute, ihr habt vollkommen recht. Die deutsche Schule ist superdemokratisch in ihrer Grundstruktruktur. Sie ist bevölkert von Demokratenlehrern, die wissen, was die soziale Gestalt ihrer Einrichtung ist, die ihre Pisatsudie gelesen und die Historie des Gymnasiums kennen. Diese Schule quillt über von Klassenräten (Grüßchen an Lisarosa, geht’s dir! höhö), und sie hat selbstverständlich keine stratifzierende Wirkung, ach was. Und sie demotiviert auch nicht Zigtausende Jugendliche ALLEIN AUFGRUND IHRER STRUKTUR.

I wo, das war alles Quatsch, den ich heute nacht nach 1,5 Gläsern guten Weins geträumt habe. Und die Lehrer aus diesen Zuständen, die mir das immer wieder ezählen, die habe ich im Kino gesehen.

Und: Die Erde ist übrigens eine Scheibe!

 

P.S. Viel Spaß morgen in Eurer Welt. Ich hoffe, ihr werdet glücklich mit ihr

10.04.2011
10:29

Lehrer sind undemokratisch (die meisten)

Oder: Thomas Mann war ehrlicher

Wieso Lehrer sich in Schulfragen undemokratisch verhalten

Anlass für diesen Eintrag sind die jüngsten Äußerungen eines sonst so klugen Twitterers wie @BlessTheTeacher. Sie geben Anlass zu größter Sorge: der demokratische Grund der Schule wankt.

[Der nachfolgende Eintrag ist wenige Stunden alt - und die Reaktionen darauf sind bezeichnend. Die Lehrer reagieren wieder, wie sie es immer tun: Wir sind es nicht gewesen, man muss uns doch verstehen, was sind das für gemeine Anwürfe! Ich rate allen Lehrern die Lektüre Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen aus den 1910er Jahren an. Mann sagte wenigstens offen, dass er nicht Politik und Demokratie wollte, sondern Anstand, Ordnung und Tugend. Er gab zu, dass er Politik und Demokratie "für etwas Undeutsches, Widerdeutsches" hielt. Mann nahm seine ästhetischen Verirrungen später zurück angesichts des demokratischen Supergaus in Deutschland. Die Äußerungen der Lehrer heute - Sind denn Amerikas Schulen demokratisch? Soll das eine Satire sein? - deuten auf etwas anderes hin: Sie sind nicht demokratisch gesinnt - und sie wissen es noch nicht einmal! Bewusstlos unpolitisch. Sie akzeptieren das zutiefst undemokratische gegliederte Schulsystem als Sachzwang - und reflektieren nicht, was daran das Problem sein könnte. - Glücklicherweise zeigen Kommentare wie der von @Damianduchamps, dass es auch anders geht.]

Dümmliche Erklärung

Beginnen wir mit @BlessTheTeacher, der eine absolut nichtssagende und dümmliche Erklärung des Thüringer Lehrerverbandes gleich dreimal über Twitter jagt. Dem Verband passt die ganze Richtung der Schulreform im Land nicht. Thüringen führt als eine neue integrative Schulform die Gemeinschaftsschule ein. Der Verband also hat mit zehn Punkten dagegen mobil gemacht. Darunter befinden sich zwei Punkte, die aufhorchen lassen: „Sichern sie eine vergleichbare Behandlung aller Schulformen.“ Und, noch besser: „Beschränken sie nicht das Recht der Eltern auf freie Schulartwahl.“

"Das Recht auf freie Schulartwahl", so fragt man sich. Was ist das? Wo steht das? Wozu soll das gut sein? Genau, nach ein bisschen Nachdenken kommt man drauf. Dieses Recht gibt es nicht, es ist ein frei erfundenes Recht eines Lehrerverbandes, der nur ein Ziel hat: Rührt die Schulformen in Thüringen nicht an! Nun sollte man die in Deutschland gewachsenen in der Tat nicht überstürzt verändern. Nur muss man festhalten dürfen, was seit 1848 ein verletzender Dorn im Auge von Demokraten ist:

Eine Schule, die Kinder im Alter von zehn Jahren nach Leistung auf verschiedene Schulformen verteilt, ist keine demokratische Schule.

Ganz im Gegenteil, sie spaltet ihre Bürger früh in Kinder, die mehr und besser lernen dürfen und solche, die auf Abstellgleise kommen. Auch wenn man das nicht von heute auf morgen ändern kann, so bleibt es doch unerträglich für einen republikanisch gesinnten Bürger. Und es widerspricht übrigens auch empfindlich den Grundwerten unserer Verfassung, Artikel 2 und 3 werden durch so eine Schulstruktur ad absurdum geführt.

Nun aber kommt @BlessTheTeacher ins Spiel. Er ist ein eifriger Twitterer und er zwitschert eine progressive Lerngeschichte nach der anderen durch die Gegend. Nur, an dieser Stelle regrediert Bless, denn er nennt den Punkt „freie Schulartwahl“ einen wichtigen Punkt und er fragt hinterher sogar noch verwundert, wieso der denn gegen die Verfassung verstoße.

Affront gegen demokratischen Gedanken

Das ist das Bild, und es ist nichts weniger als verheerend: Ein Lehrer, der gewiss ein Meinungsführer und denkender Zeitgenosse ist, kapiert nicht, wieso eine gegliederte Schule ein Affront gegen den demokratischen Gedanken ist, dass alle Bürger gleiche Rechte vor dem Gesetz haben.

Wie Bless denken ganz viele Lehrer. Sie sind es gewohnt, Kinder zu Bürgern erster, zweiter und dritter Klasse zu erziehen (also in Gymnasium, Realschule und Hauptschule), sie haben sogar eine eigene Underdogschule für tatsächlich und angeblich Behinderte hingenommen – und sie haben sich in diesem Zustand eingerichtet, sie fühlen sich darin wohl.

Lehrer akzeptieren Schulen erster, zweiter und dritter Klasse

Wenn man sie darauf hinweist, dass das undemokratisch ist, dann kommen sie mit Sachzwängen, eigenen Erfahrungen, Kindern, die angeblich nicht lernern wollen. Das muss man festhalten: Die Gruppe, die unsere Kinder in die Demokratie erziehen soll, glaubt fest daran, dass es schichtspezifische Intelligenz- und Lernunterschiede gibt, die der Staat mit Einrichtung verschiedener Schulformen bedienen muss.

Was heißt das? Die meisten deutschen Lehrer sind im Grundsatz undemokratisch. Was folgt daraus? Es braucht meines Erachtens einen neuen Radikalenerlass, diesmal einen demokratischen.

Lehrer, die einen gegliederte Schule anerkennen oder sogar anbeten, müssen sich einen neuen Job suchen. Wir lassen auch keine Päderasten, Nazis, Kommunisten etc. auf unsere Kinder los.

Warum sollten wir sie von undemokratischen Lehrern indoktrinieren lassen? Ohne demokratische re-education für die Lehrer geht es nicht weiter.

Lucius D. Clay: Gesamtschule mit Waffengewalt

P.S. Wer mich für durchgeknallt hält, dem empfehle ich die Briefe und Berichte des US-amerikanischen Oberbefehlshabers, General Lucius D. Clay, zu lesen, die er nach 1945 nach Washington sandte. Er wusste, dass die gegliederte Schule großen Anteil daran hatte, dass sich Deutschlands Bürger nicht gegen den Faschismus wehrten. Und er betete beinahe, dass das deutsche Volk selbst eine demokratische comprehensive school einrichten möge, ja er spielte für einen Moment sogar mit dem, Gedanken, die Gesamtschule militärisch durchzusetzen. Leider, muss man sagen, leider hat er es nicht getan.

10.03.2011
16:45

Schule im Verdruss

Berliner Parlament düpiert Bürger

Wer wissen will, wie Politikverdrossenheit geht, der musste heute im Berliner Parlament gewesen sein. Die Abgeordneten haben eine Gruppe von Bürgern arrogant abfahren lassen - obwohl die sich durch eine Volksinitiative mit 29.000 Unterschriften Rederecht im so genannten Hohen Haus erstritten hatten. Es geht der Ini darum, dass freie Schulen künftig gleichberechtigt finanziert werden - und staatliche Schulen mehr Freiheit bekommen. So will es "Schule in Freiheit".

lästige und ungebetene Gäste

Von Sekunde eins der Sitzung des Schulausschusses aber war klar: Die Bürger sind hier lästige und ungebetene Gäste, die man irgendwie als Deppen ansieht. Während der Vorträge der Bürger wurde von den Abgeordneten geredet, gegessen und sogar dazwischen gerufen. Nach einer freundlichen Floskel lehnten dann beinahe ALLE ABGEORDNETEN das ur-demokratische und obendrein demokratisch legitimierte Ansinnen der Initiative "Schule in Freiheit" ab, freien Schulen nicht nur 65 sondern 100 Prozent ihrer Kosten zu erstatten.

Es war aber weniger der Inhalt als vielmehr die blasierte Art der Volks"vertreter", die auffiel. Die Schülerin Laura, ebenfalls als Vertrauensperson der Initiative mit Rederecht im Parlament, sagte irgendwann:

"Ich bin persönlich enttäuscht bin von dem Verhalten einiger Abgeordneter. Ich hatte nicht das Gefühl, angemessen Gehör zu finden. Ich spreche nicht nur für die Initiative, sondern für 30.000 Berliner, die unser Ansinnen teilen." 

Ersparen sie mir eine Kommentierung

Diese Ansinnen nannte die SPD-Abgeordnete Felicitas Tesch kurz "das Pamphlet, das sie hier mitgebracht haben". "Ersparen sie mir eine Kommentierung", meinte Tesch und stellte dann in Fragen gekleidete Frechheiten. Ihr Kollege Lars Oberg (SPD) ranzte den Initiator an, "sie bestimmen hier nicht die Geschäftsordnung." Dabei hatte der arme Kurt Wilhelmi nur schüchtern auf die Vereinbarung hingewiesen, dass nach fünf Initiatoren fünf Abgeordnete sprechen - und dann wieder die Initiative. Aber die Sitzungsleiterin Christa Müller (SPD) interessierte die Abmachung wenig. Sie ließ Abgeordneten nach Abgeordneten Pseudofragen ablassen.

Wie unmöglich ist dieser Ausschuss?

Einzig die Abgeordneten Mike Senftleben (FDP) und Özcan Mutlu (Grüne) hielten - auch vom Verfahren her - zu den Bürgern. Müller aber zeigte schon nach sechs Minuten, wo der Hammer hängt. Da blaffte sie Kurt Wilhelmi an, er soll zum Schluss kommen, seine fünf Minuten seien um.

Man kann nicht sagen, dass die Abgeordneten "das Pamphlet" der Initiative gelesen hätten. Ungetrübt von Details ratterten die Abgeordneten ihre Vorurteile über Privatschulen herunter. Mindestens zehnmal hieß es, dass Schule eine staatliche Aufgabe sei und Privatschulen Ungerechtigkeit erzeugten.

Das war natürlich interessant. Immerhin steht im Grundgesetz, dass die Gründung von Privatschulen ein Grundrecht ist - aber wozu muss ein Abgeordneter die Verfassung kennen! Zudem fordert die Initiative, das Schulgeld freier Schulen durch Staatsfinanzierung auf Null zu fahren. dennoch fragte Steffen Zillich (Linke) unverdrossen: "Wie wollen sie garantieren, dass jeder in ihre Schule kann?" Hm.

Özcan Mutlu, der stets freundliche Grüne, schoss schließlich den Vogel ab. Er wünschte der Initiative viel Glück auf ihrem weiteren Weg. Ich denke, er hat es nett gemeint, aber auch nicht mehr. Denn immerhin ist Mutlu der GESETZGEBER und genau den haben 30.000 Berliner gebeten, Schulen gleichberechtigt zu finanzieren. Und was sagt Mutlu dazu? Schönen Tag auch!

Die Abgeordnete Senftleben fragte irgendwann: "Wie unmöglich ist dieser Ausschuss eigentlich?"

Wohl war.

24.02.2011
16:45

Undemokratie der deutschen Schule

Deutschland hat eine zutiefst undemokratische Schultradition. Sie ist auch heute, im 21. Jahrhundert, noch nicht überwunden. Den Schulen fehlt zumeist eine echte innere Demokratie. Zudem werden private, also Schulen der Gesellschaft stark benachteiligt. Vor allem aber teilt das Land seine Kinder bereits mit zehn Jahren in Gewinner und Verlierer.

Das bedeutet, es erschafft durch die Schule Bürger erster und zweiter Klasse. Es gibt Schichten, die von besser ausgebildeten Lehrern mehr lernen und für andere Berufe vorgesehen sind als andere Schichten. Das ist für eine demokratische Gesellschaft untragbar. 

Alle Versuche, die preußische Schichtenschule zu überwinden, sind fehlgeschlagen. Es gelang nicht 1848, bei der ersten bürgerlichen Revolution gegen die kleindeutschen Monarchien, es schlug nach dem 1. Weltkrieg fehl, als man sich nur mühsam auf eine rudimentäre vierjährige Grundschule für alle einigen konnte. Und es scheiterte schließlich auch 1948 und 1968, als zunächst die Alliierten eine demokratische Schule erzwingen und später eine gesellschaftliche Bewegung eine solche Schule erreichen wollte.

Deutschlands Schüler werden noch im Jahr 2011 in Bürger mit mehr oder weniger Rechten aufgeteilt – durch die Struktur der staatlichen Schule. Und die Kultusminister rebellieren nicht etwa gegen diese Untertanenschule, sie verteidigen sie mit Klauen und Zähnen.

Deutsche Selbstverständlichkeit

Niemand fordert sie daher zum Rücktritt auf. Die undemokratische Schule ist eine deutsche Selbstverständlichkeit. 

Die Entdemokratisierung der Schulen beginnt paradoxerweise mit einem Akt der Demokratisierung Mitte des 18. Jahrhunderts. Friedrich II nimmt den Kirchen den Betrieb und die Aufsicht über die Schulen weg und führt eine allgemeine Schulpflicht ein. Aber der preußische König erzeugt damit nicht eine Bildung für alle, sondern er bürokratisierte die Schulen – und teilt sie in oben und unten.

Zweiklassengesellschaft

Die allgemeine Schulpflicht war von Anfang an eine Zweiklassengesellschaft. In den Volksschulen hatten die Untertanen eine strenge Lektion vor sich. Sie sollten, so formuliert es Preußenkönig Friedrich II., lediglich „bisgen lesen und schreiben lernen, wissen sie aber zu viel, so laufen sie in die Städte und wollen Secretairs und wo was werden“. Damit waren die Lernprinzipien der preußischen einfachen Schule gut beschrieben: viel Gottessfurcht und eine gute Portion Unterwürfigkeit. Schreiben wird eher nebenbei gelernt.

Die dünne Oberschicht hätte ihre Kinder niemals auf solche Schulen für das (gemeine) Volk geschickt, in der zu Preußens Zeiten bis zu 80 Kinder in die Klassen gepfercht wurden und das wichtigste Lernmittel der Rohrstock war. Die Kinder der Oberschicht erhielten die höheren Weihen in speziellen Eliteschulen, den Gymnasien, zu denen in Preußen selbst zu Zeiten der Industrialisierung nur ein Prozent der Bürger zugelassen waren, in den Landshculen lernten zwei Drittel der Kinder.

Hauptschule Gymnasium

Inzwischen sind die Proportionen selbstverständlich ganz andere. In den meisten Bundesländern ist das Gymnasium zur Hauptschule der Nation mit einem Anteil knapp der Hälfte der Schüler geworden. Die instutionelle und mentalitätsmäßige Zweiteilung aber ist geblieben. Noch immer aber betrachtet ein gehobenes Bürgertum Gymnasien als ausschließlich für ihresgleichen reserviert. Der Weg zum Studium führt immer noch über diese Schulen, alle anderen Wege sind geduldete, aber nicht gewollte Ausnahmen.

Warum ist das so? Das Bürgertum wurde politisch mit dem Gymnasium stillgestellt. Diese Schule bot exklusiv den Kindern des Bürgertums begrenzten Aufstieg in die oberen Zehntausend. Das allgemeine Streben nach einer demokratischen Gesellschaft, also einer Repubkik, in der die Bürger der Souverän sind, wurde so unwirksam gemacht. (ausgerottet, getilgt, aus dem Bewusstsein gestrichen.) Kurz gesagt gab es damals folgenden Deal:

Die Monarchie sagte dem Bürgertum, wenn ihr still haltet und keine politische Revolution macht, dann bekommt ihr eine Schule nur für euch und eure Kinder. Wir halten gemeinsam den Pöbel in Schach. Wenn der Staat heute, beinahe 200 Jahre später, diesen Pakt mit dem Bürgertum bricht (wie etwa in Hamburg geschehen, wo das Gymnasium radikal verkürzt und geöffnet werden sollte), dann geht das Bürgertum zurück zum Status ex ante: Es macht Revolution, freilich mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts, also dem Volksentscheid.

pisaversteher.de